Bei der Beschäftigung mit dem Thema „Ziele in der Hilfeplanung“ wurde im Rahmen des Bundesmodelprogramms „Hilfeplanung als Kontraktmanagement“ am Modellstandort Brandenburg an der Havel der Fokus auf die Verständigung des öffentlichen und freien Trägers zum Umgang mit diesem Thema gelegt. Nicht die konkrete Zielfindung, Zielformulierung und Zielüberprüfung im individuellen Hilfeplan stand im Mittelpunkt des Prozesses, sondern die Schaffung von angemessenen Rahmenbedingungen im Sinne von Haltungs- und Kompetenzentwicklung bei den Fachkräften der öffentlichen und freien Jugendhilfe.
Fragestellungen
Sich mit der Thematik der Zielformulierung in der Hilfeplanung zu befassen, bedeutet sich der Perspektive bewusst zu sein, aus der dies betrachtet bzw. bewertet werden soll. Auch wenn geeignete und notwendige Hilfen zur Erziehung grundsätzlich auf eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung und Entwicklung ausgerichtet sein sollen (vgl. § 27 Abs. 1 SGB VIII), so ist es für die praktische Umsetzung dieser Rechtsnorm charakteristisch, dass dies im Widerstreit unterschiedlicher Interessen geschieht. So wird die Art und Weise der Zielformulierung unmittelbar bestimmt durch die Haltungen und Kompetenzen der handelnden Menschen und mittelbar durch verschiedene Aspekte, wie die der Bedürfnis- und/oder Bedarfsorientierung, Defizit- und/oder Ressourcenorientierung, Subjekt- und/oder Objektorientierung, Kindeswohl und/oder Kindeswille, Hilfe und/oder Eingriff und nicht zuletzt durch die konkreten Interessenlagen der am Prozess der Hilfeplanung partizipierenden jungen Menschen, Eltern sowie die der beteiligten Fachkräfte öffentlicher und freier Träger der Jugendhilfe oder anderer Institutionen (z.B. Kita, Schule, Gericht, Psychiatrie). All diese Aspekte wurden im Rahmen der am Modellstandort Brandenburg a.d.H. durchgeführten Zukunftswerkstatt als kritische Momente zusammengetragen und mündeten in der Vereinbarung, sich über die Thematik in der künftigen Arbeit zu verständigen.
Wenn sich Fachkräfte öffentlicher und freier Träger mit dieser Thematik auseinandersetzen, wie am Modellstandort geschehen, stehen aus deren Interessenperspektiven u.a. folgende Fragestellungen im Mittelpunkt:
Wer darf das Ziel bestimmen?
Warum wird ein Ziel überhaupt formuliert und wer tut dies verantwortlich?
Muss es immer eine Einigung auf gemeinsame Ziele geben?
Wie sind Ziele und Wünsche bzw. Interessen, insbesondere der Wille von Eltern, Kindern oder Jugendlichen zu koordinieren?
Wie wird das Thema Elternarbeit als grundsätzliche Zielperspektive in der Hilfeplanung verankert?
Was soll eine Zielformulierung überhaupt bewirken?
Wie ist mit den unterschiedlichen Vorstellungen bei der Zielformulierung umzugehen?
Wie konkret, kurz und verständlich sollten Ziele formuliert werden?
In wie weit sind Zielformulierungen auslegbar und unterliegen damit Fehl- oder Mehrdeutungen (z.B. regelmäßiger Schulbesuch)?
Wie kommt man von der allgemeinen Perspektive zum konkreten Teilziel und damit zu alltäglichen Handlungsschritten?
Wer ist verantwortlich für den Formulierungs- und Umsetzungsprozess?
Was sind realistische bzw. erreichbare Ziele?
Wer definiert den „Erfolg“ bei der Zielerreichung, wer bewertet wen, wann und wie?
Wie lange sollte der Zeitraum von der Zielformulierung bis zur Zielerreichung sein?
Wie ist der Prozess der Differenzierung und Veränderung von Zielen zu bewerten?
Wie wird im Dreieck Betroffene/r – ASpD – Fachkraft freier Träger die jeweilige Problemsicht für das Ziel gewichtet und welche Bedeutung hat dies hinsichtlich der Festschreibung im Hilfeplan?
Ziele im Hilfeplanverfahren
Ziele sind von Werten abgeleitete gewünschte bzw. gewollte positive zukünftige Zustände (im Sinne des SGB VIII immer bezogen auf das Wohl des Kindes/Jugendlichen) bzw. erwünschtes und realisierbares Verhalten junger Menschen und deren Familien. Für die Soziale Arbeit macht es Sinn, zu differenzieren zwischen Perspektive, Wirkungszielen und Handlungs- bzw. Teilzielen. Unabhängig welche konkrete Zielperspektive gewählt wird ist als rechtliche Norm die Gesamt- und Steuerungsverantwortung des öffentlichen Trägers (SGB VIII § 79 Abs. 1) sowie die verbindliche Beteiligung der Betroffenen (SGB VIII § 36 Abs. 1 und 2) und der Leistungserbringer (SGB VIII § 36 Abs. 2) gesetzlich bestimmt.
Bei der Formulierung der Ziele war es eine besondere Anforderung für die Fachkräfte mit Blick auf den konkreten Einzelfall auf der Grundlage einer Perspektive jeweils konkrete Wirkungs- und Handlungsziele und damit strategische und reaktive Handlungsorientierungen zur Ausgestaltung der Hilfe zu erarbeiten und zu formulieren. Da von einem prozesshaften Verständnis von Hilfeplanung ausgegangen wird, erfolgte z.B. im Rahmen Kollegialer Fallberatungen nach jeder Überprüfung bisher vereinbarter Ziele eine Strategieentwicklung zur Neuvereinbarung von Zielformulierungen. Dabei war zu beachten, dass der Prozess der Zielformulierung und -umsetzung nicht zu einem unverständlichen „Entwicklungsmarathon“ verkommt, in dessen Verlauf die Beteiligten und hier insbesondere die Eltern und jungen Menschen wegen „Trainingsrückstand“ eigentlich nur aufgeben können. Für den Qualifizierungsprozess war es zunächst hilfreich die notwendigen Begrifflichkeiten inhaltlich zu erschließen und über Beispiele eine Idee gelungener Zielformulierung zu vermitteln.
Die Gestaltung von Hilfeplanprozessen wird, wie in der Analysephase am Modellstandort Brandenburg a.d.H. festgestellt, nicht nur durch die Art und Weise der Perspektiv- und Zielformulierung bestimmt, sondern auch wesentlich von der Strategie der Zielausrichtung geprägt. In diesem Sinne hat Hilfegewährung immer auch mit verschiedenen Haltungen und fachlichen Positionen zu tun, die im Hilfeplanungsprozess zum Tragen kommen, häufig genug aber nicht kommuniziert werden. Mit Blick auf eine ressourcenorientierte Hilfegewährung geht es um den Erhalt von Erziehungsverantwortung, um die Möglichkeiten einer Reduzierung der unmittelbaren Hilfe im Sinne einer Einmischung, um die Abgabe von Aufgaben an andere professionelle und ehrenamtliche Erziehungsträger im Kontext von Regelangeboten und zu guter Letzt um die Beendigung einer Hilfe. Aus einer solchen helfenden Haltung heraus werden zur Zielerreichung feste Kooperationsbeziehungen des Helfer/innensystems und für die Familien angestrebt, werden enge Bindungen der Familienmitglieder untereinander gefördert, wird versucht Eltern, ansetzend an deren Willen, Stärken und Ressourcen, in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich und eigenständig für die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder aufzukommen.
Zielformulierung und Zieloperationalisierung
Die generelle Schwierigkeit bezüglich der Zielformulierung besteht darin, dass diese im Hilfeplan aus der Einschätzung der Fachkräfte heraus als zu allgemein und zu unscharf für die weitere Arbeit und damit für die Zielerreichung erlebt wird (Leitner & Troscheit 2005, S. 8). Die Zielformulierungen bedingen sich u.a. durch die in der Einleitung genannten allgemeinen Aspekte und werden im Wesentlichen durch die individuellen Anforderungen des Einzelfalls bestimmt. In diesem Sinne gibt es keine allgemeinen Ziele, die im Rahmen des Hilfeplanungsprozesses den Einzelfällen zugeordnet werden können. Jedoch können Schwerpunkte als Folie zur Zielfindung und Zielformulierung hilfreich sein, die sich auf die verschiedenen Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien beziehen (eine Perspektivrichtung: Familie, Lernen, Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Gesundheit u.a. oder eine andere Perspektivrichtung: Sicherung des Kindeswohls, Beziehungsfähigkeit, Interessenentwicklung, Verhalten, Selbstwerterleben, Selbstständigkeit, Erwerbsfähigkeit u.a.).
Die Arbeit am Modellstandort hat gezeigt, dass die Zielformulierung selbst als Verfahren eine Operationalisierung braucht, die es den Fachkräften im Alltag erlaubt strukturiert bei der Erarbeitung vorzugehen. Hier hat sich ein Vorgehen bewährt, dass ausgehend von der Perspektivbestimmung, Wirkungsziele bestimmt, aus denen sich dann Handlungs- und Teilziele ableiten lassen, welche wiederum ganz konkrete Handlungsschritte für den alltäglichen Vollzug nach sich ziehen. Dieses Vorgehen wurde in Form einer „Checkliste Zielformulierung und Zieländerung“ zusammengefasst und steht den Fachkräften nun als reflektierendes Arbeitsmaterial handlungsleitend zur Verfügung.
Wirkungsziele bezeichnen erwünschte bzw. gewollte Zustände, die in der Regel am Ende zumindest aber nach einem längeren Zeitraum der Hilfe erreicht sein sollen. Bei der Erarbeitung und Formulierung solcher Wirkungsziele waren handlungsleitende Leitfragen hilfreich, wie:
Was soll erreicht werden?
Wie soll die Situation für das Kind sein, wenn die Hilfe beendet ist?
Diese Fragestellungen sind diskursiv im (Sozialleistungs-)Dreieck zwischen Adressat/in, öffentlichem und freiem Träger in einzelnen Zielformulierungen umzusetzen, die vom Ansatz her folgender Diktion entsprechen:
Das Kind verhält sich seinem Alter bzw. seinen Möglichkeiten entsprechend selbstständig und verantwortungsbewusst in Familie, Freizeit, Schule, Ausbildung oder Peergroup oder das Kind ist fähig weitgehend selbständig in eigener Wohnung zu leben oder das Kind kann sein Leben in der Familie weitgehend entwicklungs- und bedürfnisgerecht gestalten. In diesem Sinne beziehen sich Beurteilungen über Erfolg oder Misserfolg meist auf solche Wirkungsziele, in dem eingeschätzt wird, dass sich die Maßnahme gelohnt hat, weil erreicht wurde, dass das Mädchen bzw. der Junge…
Handlungs- und Teilziele bezeichnen erwünschte bzw. gewollte Zustände und/oder förderliche Arrangements, die als Voraussetzung zur Erreichung der Wirkungsziele gelten. Die Ebenen der Wirkungs- und Handlungsziele werden häufig nicht klar voneinander getrennt und zudem noch stark vermischt mit der Ebene der Maßnahmen und Handlungsschritte. Wenn Klarheit über die Wirkungsziele besteht, können wiederum Leitfragen hilfreich sein den Aushandlungsprozess mit den Adressaten/innen hin zu Teilzielen zu führen. So ist die Vergewisserung gemeinsam mit Eltern und jungen Menschen immer von großer Bedeutung, wenn es darum geht, auf welchen Zustand (etwa eine angemessene Versorgung in der Familie, eine Eingebundenheit des Kindes in eine Peergroup usw.) hinzuarbeiten ist, um letztlich über das Wirkungsziel eine gewollte Perspektive (Wille) zu erschließen. Zudem hat es sich als äußerst tragfähig erwiesen zu wissen und zu verabreden, wohin gearbeitet werden soll, aber auch zu wissen und zu vereinbaren wer welchen Anteil zu leisten hat.
Realistische Handlungsziele werden perspektivbezogen immer in Beziehung zu einem gemeinsam vereinbarten Wirkungsziel gestellt. Diesbezüglich haben solche Handlungsziele keine Berechtigung die in keinem Zusammenhang zu einem Wirkungsziel stehen und deshalb erfolgreiche Wirkungen von Hilfeplanungen eher unterlaufen als befördern. Zu einem Wirkungsziel können immer mehrere Handlungsziele (Zielpyramide) gehören.
Von Zielen zu unterscheiden sind Handlungsschritte, die die verschiedenen Beteiligten, nämlich die jungen Menschen selbst, die Familienmitglieder und auch die Fachkräfte unternehmen wollen, um sich der Zielerreichung zu nähern. In diesem Sinne ist hier handlungsleitend, was gewollter oder gewünschter Weise zu tun ist, um ein Ziel zu erreichen, oder was wer diesbezüglich tun muss oder will.
Im Rahmen der Bearbeitung des Themas der Zielformulierung haben sich im Projektverlauf Schwerpunktthemen herausgestellt die sich im Wesentlichen auf die grundsätzlichen Aspekte der Erarbeitung von Zielen, das Aushandeln von Konsenszielen, die Operationalisierung von Zielen, die Vereinbarung von Zielen und Indikatoren für gelingende Zielformulierung beziehen. Im Folgenden werden die am Modellstandort bearbeiteten Aspekte vorgestellt, die helfen können, die Umsetzung der beschriebenen Herausforderungen „technisch“ zu unterstützen. Sie sind möglichst einfach konstruiert und ihr Zweck besteht darin, Informationen zu systematisieren, die Aufmerksamkeit der Fachkräfte zu fokussieren, Moderations- und Vermittlungsprozesse zu unterstützen und die Dokumentation und Auswertung von Hilfeplanprozessen auf die Zielformulierung bezogen zu erleichtern.
Die Frage nach der Operationalisierbarkeit von Zielen war ein weiterer Aspekt der am Modellstandort in der Arbeit zum Tragen kam. Um Ziele umsetzen und deren Realisierung bewerten zu können braucht es Indikatoren, die sich auf beobachtbare, erfragbare oder einschätzbare Sachverhalte oder Verhaltensweisen beziehen und aus denen man erkennen kann, ob die Beteiligten ihren Zielen ein Stück näher gekommen sind (Ergebnisorientierung) oder ob sie ihre Ziele tatsächlich auch in Handlungsschritte umsetzen (Prozessorientierung). Indikatoren dienen somit als Maßstäbe, an Hand derer der Erfolg eingeschätzt bzw. überprüft werden kann (Evaluation, Selbstevaluation). Im Rahmen der Hilfeplanung können zwar allgemeingültige Indikatoren benannt werden, jedoch ist es sinnvoll, entsprechende der Bedingungen des konkreten Einzelfalls auch individuelle und damit fallbezogene Indikatoren zur vereinbaren. In diesem Sinne sind Leitfragen hilfreich die fokussieren auf: Woran können wir erkennen, dass…. ?
Als Gelingensindikatoren können zusammenfassend benannt werden, inwieweit Handlungsziele sich auf Perspektiven beziehen, einen Bezug zu den Wirkungszielen haben und durch nachvollziehbare und abrechenbare Handlungsschritte untersetzt sind, alle Beteiligten eine bestimmte Verantwortung für den Gesamtprozess haben und erfüllen können. Des Weiteren ist es von großer Bedeutung ob Ziele und deren Wirkung im weitesten Sinne erfassbar, messbar und vor allem von Beginn an allen Beteiligten bekannt sind und anerkannt werden. Um den Fachkräften eine verbindliche Orientierung zu geben und eine angemessene Operationalisierung im Alltag zu implementieren wurde unterstützend ein „Ablaufschema zur Operationalisierung von Hilfezielen“ erarbeitet.
Aushandeln von Konsenszielen
Wie bisher entwickelt und dargestellt wirken Ziele nur dann verändernd, wenn alle Beteiligten diese verstehen, akzeptieren und für deren Umsetzung Verantwortung übernehmen wollen und können. Ziele sind dabei abzugrenzen von „Wünschen“, die auf ihren realisierbaren Gehalt zu überprüfen sind, von formellen und informellen „Aufträgen“, oder von zur Zielerreichung notwendigen „Maßnahmen“.
Wie es nicht gemeint ist?
Traditionell, so die Ergebnisse der Analysephase, betrachteten Fachkräfte des ASpD ihre Adressaten/innen in erster Linie – nicht absichtsvoll abwertend – als „Informationslieferanten/innen“. Sie recherchierten den „Fall“ umfassend, erstellten eine „sozialpädagogische Diagnose“, nahmen (im günstigsten Fall in dieser Reihenfolge) eine Zielbestimmung vor und wählten die Hilfeart und die entsprechende Einrichtung aus. An irgendeiner Stelle dieses Prozesses ließen sie sich ihr Vorgehen durch das Fachteam bestätigen. Gegebenenfalls steuerten die Kollegen/innen einige Sichtweisen zur Erweiterung des diagnostischen Wissens oder zur Zielformulierung bei (man mischt sich nicht so gern in die Arbeit der Kollegen/innen ein). Manchmal müssten dann noch die Einwände bzw. Einschränkungen der wirtschaftlichen Jugendhilfe oder der Amtsleitung beachtet werden, aber meistens würden sich die fallzuständigen Fachkräfte der öffentlichen und freien Träger doch mit ihren Vorstellungen durchsetzen (u.a. Leitner & Mutke, 2004, S. 34). Die professionelle „Kunst“ besteht dann u.a. darin zu erreichen, dass die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien „das Problem“ ähnlich sehen und sie zu überzeugen oder zu „motivieren“, sich die Ziele der Fachkräfte zu Eigen zu machen und sich zudem auf die vorausgewählte Hilfeart einzulassen. Der Rest der Hilfeplanung ist dann Überzeugungsarbeit durch freie Träger, die auch gleich noch die Verantwortung für den Erfolg der Hilfe übertragen bekommen.
Wie es sein soll!
Der hier vorgestellte Aspekt berücksichtigt, dass tragfähige Ziele für eine Hilfeplanung zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden müssen und dass der Erfolg einer Hilfe nur dann zu erwarten ist, wenn die Betroffenen sich mit der Problemsicht, den Zielen und den verabredeten Handlungsschritten und Hilfen identifizieren können. Demnach besteht die professionelle Kunst darin, den Prozess der Zielfindung so zu moderieren, dass die im Hilfeplan fixierten Ziele im Wesentlichen als Produkte der Erwartungen und Vorstellungen der Betroffenen gelten können und damit deren Willen dokumentieren. Hilfreich hierzu wurde am Modellstandort ein Material erarbeitet, welches als „Strukturvorschlag zum Aushandeln von Konsenszielen“ handlungsleitend für die Fachkräfte ist.
Eine „erfolgreiche“ Zielformulierung wird dadurch bestimmt, ob und wie es gelingt die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Beteiligten zu erfassen und zu berücksichtigen (Interessen, Wille, Aufträge, Wünsche, Bereitschaft, Ressourcen usw.). Dabei ist die Perspektive des jungen Menschen unter dem Auftrag der Sicherung des Kindeswohls in den Mittelpunkt zu stellen.
Zielfindung und -formulierung sind dabei als Aushandlungsprozess zu verstehen und als solcher zu führen!
Optimaler Weise sind Ziele im Konsens auszuhandeln und zu vereinbaren. Im Ergebnis des Prozesses der Zielformulierung sollten immer angemessene Ziele gleichermaßen für den jungen Menschen und die Personensorgeberechtigten vereinbart werden. Dies wird jedoch nicht immer gelingen, zumal wenn die Beteiligten die jeweils anderen Perspektiven nicht anerkennen wollen oder können oder nicht bereit sind die eigene Perspektive preis zu geben. Insofern stellt der Prozess der Zielfindung und Zielformulierung immer einen Aushandlungsprozess dar, an dessen „Ende“ ein Kompromiss stehen kann. Dazu zählt auch die Verständigung zum Dissens. Dies kann auch dazu führen, dass es keine Zielformulierung und –vereinbarung und damit kein weiteres Hilfeverfahren gibt, sofern keine Kindeswohlgefährdung droht oder vorliegt. Anderenfalls ist bei Kindeswohlgefährdung und fachlichem Dissens zwischen Fachkraft und den Personensorgeberechtigten zum Ziel Kindeswohlsicherung eine personen-sorgeersetzende familiengerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Diese Klarheit in der Orientierung hat sich wesentlich entlastend auf die Fallarbeit im Rahmen der kollegialen Beratung ausgewirkt, da mit Blick auf die Zielfindung und Zielformulierung der Druck genommen werden konnte ein entsprechendes Ergebnis „produzieren“ zu müssen, da andere Entscheidungsperspektiven (z.B. die der familiengerichtlichen Entscheidung) in die Betrachtung und Abwägung einbezogen werden konnten.
Indikatoren für eine gelingende Zielerarbeitung
Zunächst soll auf den Rahmen für eine gelingende Zielformulierung verwiesen werden. Hier geht es um die Fragen nach den die Ergebnisse der Zielformulierung einschätzenden Bewertungskriterien und um die den Prozess der Zielformulierung unterstützenden Rahmenbedingungen. Beurteilungskriterien sollen es den Beteiligten ermöglichen, von Beginn an zu wissen, woran das Erreichen der vereinbarten Ziele gemessen wird. Solche Kriterien können sich auf
- die Qualität,
- die Quantität,
- die Kosteneinhaltung,
- die Veränderung des Ist-Zustandes,
- die Termineinhaltung,
- die Zufriedenheit der Zielgruppe oder
- die Entwicklung der öffentlichen Meinung
beziehen.
Neben diesen Kriterien empfiehlt es sich auch die Form und die Inhalte der Beurteilung (z.B. Fragebögen, Sachberichte, Hospitationen, Anhörungen, Selbst- bzw. Fremdevaluation, Nutzer- und Nutzerinnenbefragung) zu vereinbaren. Unterstützende Maßnahmen sollten benannt und ggf. Verfahren vereinbart werden, wie und unter welchen Umständen diese zum Tragen kommen. Solche Maßnahmen könnten umfassen: Qualifizierung, organisatorische und personelle Unterstützung in besonderen Situationen, Deckung finanzieller Mehraufwendungen bei besonderen inhaltlichen Anforderungen.
Indikatoren erleichtern die Handhabung im Prozess der Hilfeplanung und befreien diesen im Einzelfall von fallübergreifenden Verhandlungsinhalten. So hat es sich am Modellstandort als hilfreich und entlastend für den Hilfeplanungsprozess erwiesen, dass eine fallübergreifende Verständigung zu Grundsätzen der Zielfindung und Zielformulierung unter Beteiligung der Mitarbeiter/innen erfolgte. Auf Grund von bereits gesammelten Erfahrungen konnten so verbindliche Grundsätze für einen gelingenden Prozess beschrieben werden, die einerseits strukturierend das Verfahren in den Blick nehmen und zum anderen auf inhaltliche Aspekte abstellt.
Gelingende Zielerarbeitung
Ausgehend von einer eingehenden Analysephase zur Situation der Hilfeplanung am Modellstandort wurde deutlich, dass die Frage der Zielformulierung durch einen enormen Entwicklungsbedarf bestimmt ist, der sich im Wesentlichen auf der Ebene fachlicher Defizite bewegt (vgl. dazu Einzelaussagen der Mitarbeiter/innen im Rahmen der Kritikphase der 1. Zukunftswerkstatt, in: Leitner & Mutke, 2004, S. 64 ff.). Hier wurde u.a. deutlich, dass neben der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen der Jugendhilfe bezüglich der Erarbeitung und Formulierung von Zielen im Rahmen der Hilfeplanung Strategien und Handlungen in erster Linie aus der Perspektive der Betroffenen heraus entwickelt werden müssen. Dabei haben sich in der Arbeit am Modellstandort folgende Aspekte als erfolgreich handlungsleitend erwiesen.
(1) Ziele sollen bedeutsam und vor allem wichtig für die Betroffenen sein!
In Bezug auf die Bedeutsamkeit von Zielen ist es u.a. noch vor der eigentlichen Zielfindung entscheidend zu ermitteln wie wichtig den Betroffenen das zu bearbeitende Anliegen ist, sprich welche Bedeutung sie diesem beimessen. Aus den Antworten auf diese Frage werden deren eigene Prioritäten erkennbar und es lässt sich eine erste Idee entwickeln, was die Betroffenen bereit sind an Kraft und Zeit für welches Ziel zu investieren. Wer möchte, dass sich etwas verändert und wie soll dies aussehen? ist eine weitere Fragerichtung, die der Zielerarbeitung konkretere Konturen geben kann und Betroffene im Sinne von Eigenverantwortung fordert und ernst nimmt.
(2) Ziele sollen konkret und klar formuliert sein!
An der Hilfeplanung Beteiligte müssen die umzusetzenden Ziele verstehen. Dies bedeutet als Anforderung an die Zielformulierungen konkrete Zuspitzungen auf das Wesentliche und sprachlich klare Formulierungen. Als Verstehensrückmeldung eignet sich hier immer die Frage danach, woran der Betreffende erkennen würden, ob das Ziel erreicht ist oder er sich zumindest auf dem richtigen Weg befindet. Hier hat sich u.a. im Rahmen der kollegialen Fallberatung bewährt fern ab von allgemeinen (theoretischen) Allgemeinplätzen solche Situationen im Einzelnen beschreiben zu lassen.
(3) Die Ziele sollen in der Sprache der Betroffenen formuliert sein!
Betroffene sind erfahrungsgemäß interessierter am Geschehen, wenn u.a. die Ziele im Hilfeplan in deren Sprache formuliert sind, ohne dass diese z.B. den Jargon derselben bedienen müssen. Eine Idee von der Wirkung und Verständlichkeit der Sprache zu erhalten können bestimmte Frage- und Gesprächstechniken befördern. „Erzählen Sie mir, wie es aussehen wird, wenn alles so eintritt, wie Sie es sich vorstellen.“ Dabei hat es sich immer wieder ausgezeichnet, wenn im Hilfeplangespräch aber auch in der kollegialen Beratung der Originalton der Gesprächspartner/innen aufgegriffen und „verarbeitet“ wird.
(4) Ziele sollen kleinteilig (überschaubar) und realistisch (erreichbar) sein!
Das Ziel als Wunsch gewährleistet noch nicht dessen Erreichen. Hier ist es nicht nur entscheidend, ob ein Ziel aus der Sicht der Fachkräfte als umsetzbar eingeschätzt wird, sondern die Sicht und der Wille der Betroffen sind weitaus bestimmender. Dabei ist es hilfreich von den Betroffenen zu erfahren, welche Veränderungen für sie selbst Anzeichen sind bzw. sein könnten die anzeigen, dass Sie auf dem „richtigen Weg“ sind. Rückmeldungen der Betroffenen zum Maß der Zufriedenheit lassen Rückschlüsse zu, inwieweit diese die Dimension der Hilfe überblicken. Auch zeitliche Vorstellungen von Veränderungen sind zu kommunizieren, um ggf. unrealistische Erwartungen von Fachkräften gegenüber den Betroffenen bzw. nicht erfüllbare Selbsteinschätzungen der Betroffenen selbst zu relativieren oder auch die Erwartungen der Fachkräfte der öffentlichen und freien Träger untereinander abzugleichen, um dadurch spätere Entwicklungen aus Gründen des vermeintlich übermäßigen „Zeitverbrauches“ nicht zu gefährden. In Bezug auf die Überschaubarkeit hat sich immer wieder gezeigt, dass es sinnvoll ist einzelne Zielvorhaben bzw. Zielvorgaben zu priorisieren, um deren Bearbeitung einen gewichteten Bedeutungsgehalt zu geben.
(5) Ziele sollen positiv und selbst formuliert sein!
Um u.a. die Leitidee der Ressourcenorientierung erlebbar werden zu lassen ist es notwendig entsprechenden Situationen im Hilfeplanungsprozess Raum zu geben. So sollen positive Zielformulierungen als langfristige und selbst gewünschte oder besser noch gewollte Veränderungen formuliert sein. Dabei ist es entscheidend, ob die Fachkraft stellvertretend formuliert oder der Betroffene selbst sich durch die Fachkraft ggf. unterstützt in seiner eigenen Formulierung wieder findet. Dies nicht vordergründig im Sinn von „was soll sich langfristig positiv verändern“, sondern eher im Sinne von „was will ich selbst verändern.“ Oft genug stoßen in diesem Zusammenhang Fachkräfte auf Situationen, in denen die Betroffenen sprachlos und nicht in der Lage sind eigene Ideen zu formulieren. Hier kann bei aller Ressourcenorientierung durchaus vom Problem ausgegangen werden: „Wenn es nicht so bleiben soll, wie soll es stattdessen sein?“ Die positive Zielbestimmung betont darüber hinaus, dass die zukünftige Vermeidung negativ erlebter Verhaltensweisen kaum gelingt, ohne eine neue konstruktive Alternative – was kann ich tun, wenn ich nicht mehr…? – vor Augen zu haben.
(6) Die Zielerreichung soll in der Hand der Betroffenen liegen!
Bei der Zielformulierung kommt es bei allen Beteiligungs- und Selbstformulierungsversuchen darauf an, dass der/die Betroffene selbst das zu Erreichende will und dass die Zielerreichung auch in seiner Hand liegt. Verhängnisvoll für die Motivation der Betroffenen und letztendlich für die Zielerreichung ist es, in welchem Maß diese von anderen Personen und nicht selbst beeinflussbaren Bedingungen abhängt. Damit ist das Maß der persönlichen Einflussnahme und Einflussmöglichkeit auf die Zielerreichung durch den Betroffenen selbst ein weiterer wesentlicher Gelingensfaktor bei der Umsetzung von Zielen im Rahmen der Hilfeplanung.
Im dargestellten Sinne war der Entwicklungsprozess am Standort Brandenburg a.d.H. weniger geprägt von strukturellen Innovationen, sondern eher von einem gemeinsam organisierten Prozess der Verständigung u.a. zum Thema Zielfindung, Zielformulierung und Zielüberprüfung. Dabei konnte ein guter Grundstein insbesondere für die Zielfindung und Zielformulierung in der konkreten Zusammenarbeit zwischen Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienst des Jugendamtes (ASpD) und einem freien Träger (VHS Bildungswerk) gelegt werden. Dieser Entwicklungsprozess ist so angelegt, dass er weiterführend im Diskurs auch über diese konkrete Trägerkooperation hinaus mit anderen Trägern eine „Einheitlichkeit“ im Umgang und der Weiterentwicklung mit der Thematik Zielfindung, Zielformulierung und Zielüberprüfung verankern helfen soll.
Literatur
Leitner, Hans & Mutke, Barbara (2004). 1. Zukunfts(werk)stadt(t) Brandenburg a.d.H. Bernburg
Leitner, Hans & Troscheit, Karin (2005). Hilfeplanung als Kontraktmanagement. Kollegiale Beratung – Ziele (nicht nur) im Hilfeplanverfahren, 2. Zukunfts(werk)stadt(t) Brandenburg a.d.H. Bernburg
Münder, Johannes u.a. (1998). Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum SGB VIII. Münster
ISSAB Essen (o.J.). „Fragen zur Erarbeitung von Willen und Zielen“. Unveröffentlichtes Material