Ein Gespräch mit Hans Rosenbrock (ehem. Bildungsreferent am SFBB)
Hans Rosenbrock, Du stehst für mich – seit ich Dich Anfang der 90er Jahre in der Fortbildungsstätte Schweinfurthstraße als Bildungsreferenten kennen lernte – über die Jahre für das Thema Beratung und Beratungskompetenz, ja Du verkörperst als Persönlichkeit geradezu Dein Anliegen selbst.
Wie begann das Thema für Dich im Fortbildungszusammenhang?
Ein wichtiger Zugang ist die Erfahrung, die ich im Rahmen meiner Weiterbildung zum Gestalttherapeuten gemacht habe: Gute Beratung hat im Wesentlichen mit dem Kennen der eigenen Person und mit Haltung zu tun.
Wir bekamen eine Menge Anfragen nach Beratungsqualifizierung, der Wunsch nach mehr Methodik oder neuen Tools war groß, die beratenden pädagogischen Fachkräfte gerieten immer wieder in Situationen, in denen sie sich ratlos fühlten, nicht weiter wussten oder hilflos waren.
Genau da aber verbirgt sich die zentrale Frage: Muss der/die BeraterIn die Lösung haben? Muss er/sie immer weiter wissen und immer Rat geben können? Nein, eben nicht. Heute nennen wir das Ressourcenorientierung, vor etlichen Jahren Hilfe zur Selbsthilfe.
Hieraus entstand die Idee, eine Langzeitfortbildung (16 mal 2 Tage) für sozialpädagogische Fachkräfte anzubieten, die beraterische Anteile in ihrem Beruf haben. Es gab einen bedeutenden Anteil an Selbsterfahrung, was wir auch so angekündigt hatten. Wir gingen davon aus: Wer sich rein traut, der will auch was. Wir haben behauptet, dass jede beratende Person ihr höchst individuelles BeraterInnenprofil hat. Jede hat ihre eigne Berater-Persönlichkeit, und es braucht ein Beratungsinstrumentarium, das zur Person passt.
Die entscheidende Grundlage ist jedoch Kontaktfähigkeit, von daher war unser wichtigstes Anliegen, Kontaktfähigkeit im Beratungsprozess mit den Klienten zu entwickeln.
Wir haben viel mit inszenierten Beratungssettings, die wir auf Video aufnahmen, gearbeitet. Da gab es zunächst einen hohen Aufregungspegel, doch nach kurzer Zeit haben die meisten die Kamera vergessen. Nach einem gewissen zeitlichen Abstand haben wir dann die Videos angesehen. Wir hatten hier den sogenannten “Brigitte- Effekt”: vorher – nachher. Ein Video ganz zu Anfang und eines am Ende; in der Auswertung waren beeindruckende Entwicklungen zu beobachten.
Das ist eine spezielle Form der Selbsterfahrung gewesen. Nicht die Art Selbsterfahrung, wie sie in Therapiegruppen gemacht wird, sondern bezogen auf das Arbeitsfeld und die Personen. Dabei ist sehr viel sichtbar geworden, z.B. die Vorstellung, dass man als BeraterIn nichts Persönliches zeigen oder einbringen darf.
Natürlich hatten wir auch mit Widerständen zu tun, wie sie auch in der realen Beratung auftauchen. Unser Gestalt-Konzept in diesem Kontext war: Das, was in der realen Beratung unserer TeilnehmerInnen stattfindet, das findet sich auch im Seminar wieder und wir haben dann die Möglichkeit, es direkt zu bearbeiten.
Du hast gesagt, dass Ihr damals großen Wert auf die Kontaktfähigkeit gelegt habt. Glaubst du denn aus heutiger Sicht, dass Beratung ohne Kontaktfähigkeit geht?
Nein, das glaube ich auch heute nicht. Im sozialpädagogischen Arbeitsfeld haben wir es meistens mit Prozessberatung zu tun, es gibt aber auch Mischformen. In der Prozessberatung bleibt die Verantwortung in aller Regel beim Klienten, Stichwort Ressourcenorientierung. Dann gibt es noch die Expertenberatung, und es ist nicht schädlich, kontaktvoll beraten zu können. In der Arzt-Patient-Beratung – das kennt wahrscheinlich jeder selber – gerät der Patient oft an Ärzte, die wenig kontaktfähig sind und dich trotzdem beraten können. Aber das ist eine andere Qualität der Beratung.
Es ist nichts Neues, aber in den sozialpädagogischen Arbeitsfeldern arbeiten wir mit und in Beziehungen, Du stellst Dich – auch in der Beratung – als Person zur Verfügung.
Was ist aus Deiner heutigen Sicht der Mehrwert sich auf das Thema Ich und Beratungskompetenz einzulassen?
Es gibt zwei wesentliche Rückmeldungen:
1. das Beraten ist leichter und interessanter geworden und,
2. unsere TeilnehmerInnen fühlen sich kompetenter, persönlicher und kontaktvoller.
Sie trauen sich, zu konfrontieren, dann auch Stand zu halten und so im Kontakt und Prozess zu bleiben.
Sie haben einfach mehr Freude an ihrer beraterischen Tätigkeit gefunden; das ist die Hauptrückmeldung.
Und das habt ihr ihnen über den Prozess, den ihr zusammen hattet, ja auch ermöglicht; ohne den Prozess und die Zeit zum Erkunden und Ausprobieren würde diese Verbindung ja nicht entstehen.
Wir haben am Anfang Übungen zum Thema “Was sind Deine Stärken und Schwächen, wie siehst Du die selber?” gemacht.
Und häufig ist es so gewesen: was die BeraterInnen zu Anfang bei sich als Schwächen gesehen haben, das haben sie am Schluss als Potentiale wahrnehmen und nutzen können.
Z.B. in der Furcht, als BeraterIn nicht weiter zu wissen, ratlos zu sein oder hilflos. Diese Furcht nicht mehr kaschieren oder überspielen zu müssen, sondern die dahinter liegenden Gefühle zu übersetzen und aktiv zu benutzen wirkte befreiend, authentisch und barg viel Potential.
Also das hört sich ja wie ein Credo an: Leute sprecht über das, was ihr glaubt, was Eure Schwächen sind!
Genau! Eben aus “Fehlern” lernen, sich trauen, Fehler im Rahmen des Seminars zu machen. Wir haben gesagt: “Ihr werdet hier in einer ungewohnten Art und Weise lernen, ihr werdet nämlich aus Fehlern lernen und ihr werdet viele Fehler machen, ihr sollt und dürft Fehler machen!” – dabei ist Humor sehr hilfreich.
Beratungskompetenz entwickelt sich über die Fähigkeit sich zu reflektieren, immer wieder Erfahrungen zu machen und darüber Stück für Stück zu einer Haltung zu kommen. Dazu haben wir ja so einen Antipoden. Gib mir die richtigen Tools und dann kann ich damit den Klienten hilfreich sein. Ich würde mal behaupten, die stehen sich diametral entgegen!
Du hast aber mal angedeutet, dass Du siehst, dass die parallel zueinander laufen und dass es da Verknüpfungen gibt.
Die Teilnehmenden kommen ja schon mit einem umfangreichen Wissen über Tools. Sie verfügen bereits über ein breites Methodenspektrum. Uns ist es wichtig, dass das, was sie schon mitbringen und noch dazulernen, mit der Person verbunden wird. Es geht darum, nicht irgendwelche Methoden durchzuziehen, sondern zu integrieren, d.h. sich zu eigen – genauer: zur eigenen – zu machen.
In den ersten Beratungsübungen ziehen manche plötzlich etwas aus dem Hut, irgendwelche rhetorische Fragen, eine systemische Figur, was zu Widerstand bei den Klienten führt. Dann sage ich: Du hast einen großen Fundus an Methoden – doch jetzt frage ich, wann setzt du sie wie ein? Wann hast du das Gefühl, jetzt stimmt es? Darin unterstützen wir unsere Teilnehmenden. Das meine ich mit verbunden. Erst läuft es parallel und dann gibt es die Verbindung.
Am Schluss, so wie die Person ist, individuell, einzigartig, mit dem integrierten Wissen und der Erfahrung, entsteht daraus die Haltung.
Diese Haltung ist grundsätzlich geprägt durch Respekt vor dem Gegenüber, dem Wissen, dass die Verantwortung letztlich bei ihm bleibt, dass er Experte für seine Lösungen ist und nicht ich, und mit dem Zutrauen, dass er sein Problem lösen kann. Ich berate ihn – aber nicht ich löse sein Problem.
Da steckt doch der Schlüssel zu dem Thema Bevollmächtigung drin. Wenn ich in der Rolle des Beraters dem anderen nicht zutraue, dass er seine Dinge lösen kann und in der Lage ist, das hinzubekommen, dann minimiere ich aktiv seine Chancen.
Also eine zentrale Schlüsselhaltung für den gesamten pädagogischen Bereich.
Ja, wir nennen es Ressourcenorientierung. Wir gehen davon aus, dass die Klienten über Ressourcen verfügen. Vielleicht haben sie sie aktuell nicht zur Verfügung, nicht im Blick. Ich kann sie dabei begleiten, sie zu entdecken, sie zu aktivieren, aber wir sind nicht die Problemlöser.
Ich glaube ja manchmal, dass viele im pädagogischen Feld Handelnde – trotz allem Wissens darum – diesen Ressourcengrundsatz nicht wirklich verstehen – zumindest, wenn ich die Handlungsebene erlebe.
Ich habe so eine Erkundungsspur in meiner Arbeit entwickelt, indem Profis in die eigene Biographie zurückzugehen und herausfinden, wo die Erwachsenen waren, die für sie und ihre Entwicklung eine hohe Bedeutung hatten, von denen sie für ihre Entwicklung wirklich was gehabt haben, was war da. Was haben die mit dir gemacht. Im Querschnitt kommt ganz klar raus, das es die Erwachsenen sind, die ihnen was zugetraut haben, an sie geglaubt haben, von denen sie sich als Person gesehen gefühlt haben. “Die haben mich gemeint. Die meinen mich – und nicht sich.” Also dieser Beziehungsaspekt – und das Zutrauen.
Ich nenne das MentorInnenqualität.
Das Annehmen des Ressourcengrundsatzes birgt das Risiko eines vermeintlichen Imageverlustes, so erlebt aufgrund von bestimmten Introjekten
Wenn ich nicht die Lösung habe, und sie dem Gegenüber nicht pädagogisch geschickt überhelfen kann, also, wenn ich Berater da sitze und keine Lösung habe und nicht weiter weiß, dann fühle ich mich ein Stück entwertet.
Ja interessant – das erlebe ich z.B. auch bei Führungskräften. Die sagen oft eher nicht – schaut auf meine tolle Mannschaft, das hat die hingekriegt, ich stehe hinter denen und ernte den Ruhm und die Ehre indirekt – sondern sich vorne hinstellen müssen – und sagen ich bin so toll, weil ich das gemacht habe und lassen die Leute im Hintergrund verschwinden und verlieren den Kontakt.
Ja, das wäre ein Paradigmenwechsel, zu sagen, ein gutes Image habe ich dann, wenn mein/e KlientIn die Lösung (mit mir) entwickelt hat, und nicht ich sie für ihn/sie! Allerdings immer bezogen auf die Prozessberatung.
Schwierig für BeraterInnen auszuhalten ist es auch, dass KlientInnen Lösungen finden, die für sie auch wirklich Lösungen sind, die aber nicht die Lösungen der BeraterInnen wären. Das muss man lernen und akzeptieren.
Das heißt dann ja, dass sehr viele professionelle Akteure in pädagogischen Feldern, ob auf öffentlicher oder freier Träger Seite, einen bedeutenden Beratungsanteil in ihrer Arbeit haben – dass die sich dieser Machtdifferenz, dieser Bedeutung, die sie auch haben, die Möglichkeiten, die sie durch ihre Rolle haben, wirklich bewusst sind.
Es muss Klarheit darüber sein, dass man in solchen Rollen unter Umständen sogar einen gehörigen Einfluss hat und auch im Sinne von ermöglichen bzw. verhindern, manipulieren kann.
Damit verantwortungsvoll umzugehen, sich bewusst zu machen, und sich gegebenenfalls zurück zu nehmen, und sich zugleich dieser Zurückhaltung auch bewusst zu sein, bezeichne ich als Rückkoppelungsprozess auf mittlerer Ebene, die man simultan im Gespräch immer wieder mit prüft.
Kinder, Jugendliche, Eltern… die kommen ja z.T. auch an und vertrauen ja auch in Deine Expertenrolle und schieben Dir ja auch die Lösungserwartung durch Dich zu. Da liegt ja auch eine ziemliche Verführung drin.
Das sie das tun ist völlig legitim und verständlich. Nun geht es darum, zu sagen, ich habe dieses und jenes verstanden. Ich habe da keine Lösung aber vielleicht eine Idee, und wir können zusammen weitersehen, wie wir eine finden können. Daher habe ich eher Vorschläge, die meine Klienten gründlich daraufhin überprüfen mögen, ob sich daraus etwas für sie Hilfreiches entwickeln lässt.
Und dann kommst du auf Augenhöhe. Was dieses phänomenale Wort auch immer meinen mag. Ich verstehe es so – so kommt man dahin.
Das ist immer ein sehr spannender Moment in den Fortbildungen gewesen, alle sind irgendwann an den Punkt gekommen der da heißt: “Jetzt weiß ich nicht weiter!”
Sie haben dann das Beratungssetting aufgelöst und haben gefragt: “Und nun? Was soll ich jetzt machen?”
Wir haben gesagt: “Nichts machen – was ist denn jetzt?”
Dieses war immer eine Schlüsselsituation, denn nun wurde beschrieben, was war, und in dem Moment wurden Möglichkeiten des weiteren Beratens geöffnet.
Dazu gehört die Frage: “Wie kann ich das übersetzen? Wie kann ich das nutzen?”
z.B. zu sagen, da bin ich jetzt wirklich ratlos, wenn sie mir das so erzählen, und nicht zu denken: Jetzt habe ich versagt! Sondern das zu nehmen und zu sagen. Gut, jetzt geht es erst los! Jetzt kann man auf gleicher Höhe anfangen zu überlegen. Jetzt kann man Seite an Seite gehen, sagen, jetzt können wir richtig anfangen zu arbeiten!
Ist das die Situation, wo ich mit dem anderen wirklich in Kontakt komme?
Ja da gibt es eine größtmögliche Annäherung. Und es funktioniert nur, wenn es authentisch ist; nicht wenn es strategisch eingesetzt wird.
Strategisch in dem Sinne, dass die Bewusstheit da ist, es wahrzunehmen. Denn zunächst ist es ja ein Lernprozess – bis es Haltung und damit authentisch ist.
Das ist wirklich auch anstrengend gewesen. Die BeraterInnen mussten immer mehrere Sachen gleichzeitig machen. Also auf der einen Seite Aufmerksamkeit bei sich: Was habe ich für Impulse? Habe ich Angst, wird mir schlecht, werde ich ärgerlich, fühle ich mich schlecht behandelt, fühle ich mich in die Ecke gedrängt? usw. Auf der anderen Seite zu beobachten, was findet hier für einen Dynamik statt, nicht reaktiv werden! Sondern dann zu gucken. Ich habe jetzt einen Impuls, ärgerlich zu werden, wie kann ich ihn nutzen, ohne meine Klienten zu kränken, jedoch angemessen und für mich stimmig reagieren. Wie kann ich das so übersetzen und zurück geben, dass es beim Gegenüber ankommt, im Sinne eines produktiven Prozesses? Sonst droht Widerstand und Kontaktabbruch.