Dies eine erkenne ich mit zunehmender Berufserfahrung immer deutlicher: Ich möchte Haltungen vermitteln, aus denen heraus sich die Chance erhöht, dass sie in fast allen beruflichen und persönlichen Lebenslagen greifen, sodass sie die Bewältigung von hohen Anforderungen an die ErzieherInnen erleichtern.
Ich werde meine Ausführungen persönlich halten, damit sie die Möglichkeit haben, ihre eigenen Erfahrungen dagegen zu stellen oder mit mir übereinzustimmen.
Meine Berufstätigkeit habe ich als Erzieherin begonnen. Nachdrücklich beeinflusst haben mich Weiterbildungen aus dem Bereich der systemischen Theorie und der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn. Der systemische Blickwinkel hat mir u.a. lösungs- und ressourcenorientiertes Arbeiten eröffnet. Eine Ausbildung in Themenzentrierter Interaktion hat zu einer bewussteren Verbindung von Themen mit der Gruppe und mir beigetragen. Ich habe erfahren, wie sich Haltung durch die persönliche und fachliche Entwicklung meines Selbst verändert, aber auch durch gesellschaftliche Erfordernisse und Veränderungen in Gang gesetzt wird. So hat z.B. die Wende bei mir erst die Möglichkeit eröffnet, diese beiden Richtungen der humanistischen Psychologie zu studieren. Differenziert hat sie sich im Laufe meines Lebens durch die Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen und dem ständigen Überprüfen des Gelernten im Leben.
Aus den drei Quellen: Auseinandersetzung mit mir, Beziehung gestalten und fachlich mich weiter bilden speist sich meine Haltung. Und dies geschieht auf der Grundlage der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen ich mich befinde und die dies unterstützen oder entgegen wirken können |
Was ist Haltung und wie vermittle ich sie – ich möchte eine Antwort darauf versuchen:
„Nehmen Sie gefälligst Haltung an, wenn ich mit Ihnen rede“ –
„Bei deiner Arbeitshaltung kannst du wohl nicht mehr als eine Fünf erwarten…“
Solche bekannten Redewendungen aus Militär und unangenehmen Schulsituationen sind diesmal nicht gemeint.
Für mich ist Haltung ein Begriff, dessen Wortstamm „halten“ in meiner Tätigkeit immer wieder passend ausgelegt wird, um das weiterzugeben, was mir als Lernziele für die Entwicklung der Erzieherpersönlichkeit wichtig ist:
Für jeden erziehenden Impuls benötige ich vor allem den Halt in mir selbst. Belastungen aushalten können. Das lässt sich weder einpauken noch abfragen. Es ist ein Prozess, der sich durch Selbstwahrnehmung und Beziehungsgestaltung entwickelt. Dazu gehören meine Geduld und mein Vertrauen in Wachstumsprozesse genauso wie die Fähigkeit, mich zu schützen, z. B. gegen überzogene Forderungen von Kindern, Jugendlichen, Eltern oder Arbeitgebern.
Mir selber „die Stange halten“ ist dann besonders wichtig, wenn ich meine Ideen oder Bedingungen für den Einsatz der eigenen Arbeitskraft aufrecht zu erhalten beabsichtige, um meinem Selbstbewusstsein „den Rücken zu stärken“, auch dann, wenn eine Sache trotz meines Einsatzes nicht nach meinen Vorstellungen ausgeht.
Die eigene Gesundheit erhalten ist unabdingbar, damit zuverlässige Anwesenheit am Arbeitsplatz weitestgehend gewährleistet bleibt. Das kann bedeuten, mit Essverhalten, Schlaf- und Ruhephasen, Körpertraining, Suchtmittelkonsum verantwortungsvoll umzugehen. Es gibt komplizierte Phasen im Berufsalltag, wo ich ausprobiert haben muss, wie ich mich selber und manchmal auch mir anvertraute Menschen „über Wasser halte“.
Grenzen und Regeln setzen und einhalten können, gehört für mich zur zentralen Qualifikation für die Arbeit des Erziehens. Schließlich fördert es das Gelingen beruflicher Vorhaben. Kontakte zu halten sowohl mit Gleichgesinnten als auch mit Andersdenkenden. Netzwerke knüpfen zu können, im Team zu arbeiten, sich selbst Hilfe holen zu können sind Halt gebende Fähigkeiten.
Aus meiner eigenen Geschichte glaube ich zu wissen, wie sich aus einzelnen in Lernsituationen erprobten Haltungen langsam eine Gesamthaltung ergibt, die schließlich die Persönlichkeit ausmacht und durchdringt. (lat. personare= durchklingen, durchdringen)
Bei allem, was in meinem Wortspiel hoffentlich hinlänglich einleuchtend zusammengefasst wurde, weiß ich sehr wohl, wie sehr die Haltung von der persönlichen Entwicklung jedes Einzelnen abhängt.
Die Auseinandersetzung mit mir selbst
Je differenzierter meine Verbindungen mit den Jahren zu den Auszubildenden geworden sind, desto deutlicher zeigt sich mir, wie viele junge Menschen sich gerade bei uns noch auf der intensiven und manchmal verzweifelten Suche nach dem eigenen Selbst und nach ihrem Lebenskonzept befinden. Dies äußert sich vor allem in zwei Dimensionen – sie trauen sich wenig zu oder überfordern sich leicht.
Einige bringen hohe Ideale mit, die dem Vorrecht der Jugend entsprechend radikal und moralisierend sein können. Oft wissen sie recht überzeugend, wie sie nicht sein und auf keinen Fall handeln wollen. Doch für die genaue Richtung, in die es stattdessen gehen soll, wie die Alternativen zu ihren kritischen Urteilen aussehen könnten, dazu fehlen ihnen differenzierte innere Bilder und konkrete Erfahrungen. Ihre Erziehung und Bildung sind häufig mit negativen Erinnerungen belastet.
Aufgestaute Wut oder Depression über das, was ihnen in der Kindheit angetan wurde, mischt sich oftmals in die Auseinandersetzung mit den pädagogischen Inhalten.
Diese Diskrepanzen zwischen eigenen Erlebnissen und pädagogischen Hoffnungen sind anfangs kompliziert zu reflektieren – und ich glaube, dies bleibt auch eine ständige Herausforderung.
Immer wieder bin ich mit der Erwartung konfrontiert, einen Handwerkskoffer mit der Aufschrift: „Rezepte für pädagogisches Handeln am Arbeitsplatz“ bei mir abholen zu können.
Erst mit der Zeit begreifen dann die meisten, dass sie vor allem mit ihrer Persönlichkeit das allerwichtigste Instrument für die Prozesse sind, auf die sie Einfluss nehmen möchten und später in der Berufspraxis nehmen müssen, so, dass sie gerade deshalb bewusst und förderlich mit sich umgehen sollten. Dies ist ein Prozess und er will und muss in Ausbildung begleitet werden. Die Reflexion ihres Selbst ist auch mit Angst verbunden – nicht zu stimmen, nicht stark genug zu sein, sich nicht durchsetzen zu können in der Praxis.
Beziehungsgestaltung und fachliche Weiterbildung
Diese Angst verringert sich u.a. auch durch Kenntnisse und Kompetenz. Durch unsere Auswahl der Unterrichtsinhalte beeinflussen wir Haltung entscheidend. Ein kleines Beispiel soll dies verdeutlichen: wenn ich z.B. im ersten Studienjahr das Konzept der Arbeit mit Bildungs- und Lerngeschichten vermittle, so steht für mich im Vordergrund, an den Stärken und Kompetenzen eines Kindes anzusetzen. Bei allen Beobachtungsverfahren geht es mir immer um die Frage: wofür und wie nutze ich die Beobachtungsergebnisse? Gehe ich ressourcenorientiert an die Auswertung oder geht es mir vorrangig um das Aufdecken von Defiziten. So wie ich diese Frage beantworte werde ich in der Praxis auf die Kinder schauen und sie begleiten.
Für mich ist die Beziehungsgestaltung zwischen Theorie und Praxis ein wichtiges Kriterium einer gelingenden Ausbildung. Immer wieder gilt es, diese gut zu vernetzen – zu beiderseitigem Vorteil.
Als Beispiel mag hier der allgemein deutliche Mangel an Spezialisierung für die sehr differenzierten Einsatzorte im Bereich HzE durch die allgemeine Ausbildung gelten. Wir als Fachschule beschlossen, künftig eng mit der Praxis zusammenzuarbeiten, was sich inzwischen für alle Beteiligten bewährt hat.
In diesem Schuljahr haben wir eine erste Spezialklasse für diesen Bereich eröffnet. Eine neue Bewährungsprobe. – Wie wird sie sein? Ist es so tragend, dass es nachkommende Erzieher positiv beeinflussen wird? Wird sie zu veränderten Haltungen führen und uns alle, die wir daran teilgenommen haben, zur persönlichen Weiterentwicklung und Arbeitslust anregen?
Positiv spüre ich die Stimmung der Lehrerkollegen, die mit mir diesen Weg an der Schule gehen.
In dieser Klasse bieten Experten mit geeigneten Qualifikationen zusätzlich zum allgemeinen Unterricht schulexterne Seminare an, u.a. „Wie verändert meine Haltung das Berichteschreiben“.
Durch eine enge Verzahnung mit Praktikern erreichen wir, dass die Auszubildenden Theorie mit Praxisnähe vergleichen, einen direkten Transfer zwischen beidem herstellen können. Sie nehmen die Realitäten vor Ort zur Kenntnis, lernen mit diesen umzugehen, neue Lösungen anzudenken und auszuprobieren.
Sie erleben unterschiedlichste Haltungen zum Beruf durch erfahrene KollegInnen und eigene Haltungen dagegenzustellen, auf Machbarkeit zu überprüfen, eventuell zu korrigieren.
Umgekehrt bekommen Praktiker Rückmeldungen zu ihrer Arbeit, holen sich Impulse und erhalten Anerkennung. Auszubildende erfahren diesen Austausch als einen Wert für ihre spätere Arbeit.
Erfahrungen damit haben wir in langjähriger Zusammenarbeit zwischen einem Profilkurs der Fachschule und dem Kinderhaus Berlin – Mark Brandenburg e.V. sammeln können. Pro Woche sechs Stunden werden Auszubildende im zweiten Studienjahr in dieser Einrichtung von Praktikern zu unterschiedlichsten Themen geschult, die gemeinsam erarbeitet werden. Die Auszubildenden bringen sich in die Themenvorbereitung aktiv ein, indem sie z.B. mit dem Team vorher Absprachen treffen und eigene Beiträge erarbeiten. Sie können sich in der Gruppenarbeit ausprobieren, organisieren gruppenübergreifende Veranstaltungen und erfahren dabei hautnah, wie Kinder / Jugendliche auf sie reagieren und müssen Haltung zeigen und (manchmal – wenn sich z.B. keine Kinder für ihr Angebot interessieren) bewahren.
An einem Beispiel möchte ich die Entwicklung von Haltung in diesem Kurs skizzieren: ein Erzieherteam stellte unter dem Thema Hilfeplanung einen konkreten Fall dar. Schon damit bringen sie diesem Kurs ein hohes Vertrauen entgegen und zeigen selbst Haltung – wir sind bereit, uns zu zeigen und problematische Situationen mit Euch zu reflektieren. Es ging um einen Jugendlichen, der u.a. aggressiv gegenüber Gruppenmitgliedern war, Einrichtungsgegenstände wiederholt zerstörte u.v.a.m. Das Team war kurz davor, den Jugendlichen in eine andere Gruppe abzugeben, nachdem verschiedene Versuche einer Integration gescheitert waren. Mit Empathie dachten sich die Auszubildenden in beide Seiten ein und sagten – aus der kritischen Distanz der Unbeteiligten – ihre Meinung dazu. Diese beinhaltete, dass das Team den einzigen Halt dieses Jugendlichen darstellt und sie deshalb ihr eigenes Vorgehen nochmals auf den Prüfstand stellen sollten, egal wie schwer es ist. Sie ergriffen klar Partei für den Jugendlichen. Ich weiß – das war für das Team nicht leicht zu hören. Es führte allerdings dazu, dass Team und Jugendlicher einen neuen Anfang miteinander wagten. Für die Kursteilnehmer eine besondere Stunde: sie konnten etwas konkret bewirken, wurden ernst genommen als zukünftige ErzieherInnen. Dies entwickelt entsprechende Haltungen, ohne dass es explizit besprochen werden muss. In einer anderen Situation konnte ein Kursteilnehmer kaum aushalten, mit welcher Geduld ein Erzieher auf ein für ihn freches Verhalten eines Kindes reagierte. Er setzte sich im Nachhinein noch lange damit auseinander. Es war der Beginn des Umdenkens für den Umgang mit schwierigen Situationen und initiierte eine Haltungsänderung. Solche und ähnliche Situationen wiederholen sich in diesem Kurs. Für mich inzwischen eine Selbstverständlichkeit in der Ausbildung. Im Gespräch mit anderen Kollegen erst bemerkte ich, was für einen Wert wir uns hier gemeinsam erarbeitet haben. Und welche Haltung dabei entstanden ist. Es war möglich durch die Haltung von Seiten der Einrichtung: wir öffnen uns und lassen Euch teilhaben. Keine Selbstverständlichkeit. Und von Seiten des Kurses: wir sind neugierig, wissbegierig und einsatzbereit, auch über das Maß hinaus. Für beide Seiten gehört dazu viel Engagement und beide Seiten können auf ihre Weise profitieren.
Was halte ich von meiner Arbeit? Was hab ich eigentlich davon.
Manchmal stelle ich mir diese Frage, halte inne, besonders wenn es stürmisch zugeht in meinem Leben, die Anforderungen hoch sind und ich Leistungsgrenzen spüre.
Ich habe z.B. mit diesem Profil berufliche Eintönigkeit und Stehenbleiben in meiner persönlichen Entwicklung verhindert.
Haltung zeigen und vermitteln ist mir immer bedeutsamer geworden.
Wer bin ich, dass ich dich erziehen darf?
Diese Frage möchte ich mir täglich stellen. Damit muss ich natürlich immer wieder konkrete Antworten geben auf die Frage nach
- · Meinem Sprechen über Erziehung in der Schule und Praxisbegleitung
- · Meinen persönlichen und beruflichen Entscheidungen
- · Meinem Tun
- · Meiner Bereitschaft zur Selbstkritik.
Mein Erlernen von Haltungen ist daraus erwachsen. Dass ich mich selbst weiter entfalten möchte und vorwiegend mit Freude meine Arbeit tue, davon lebt all das, was mit Haltung zu tun hat.
Immer dann, wenn ich mich auf dem Weg fühle, bin ich lebendig und dynamisch.
Und wenn ich das bin geht etwas von mir aus, was ich nicht mal pädagogisch nennen muss, sondern ich habe Einfluss genommen, bin in Fluss gekommen in der Begegnung mit Kindern, Kollegen, Mitstreitern.
Meine Arbeitslust und Entwicklungsbereitschaft braucht sich eher seltener in Worten auszudrücken, ich kann sie verkörpern.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Wir als Bildungseinrichtung sind Dienstleister, dessen wichtigste Aufgabe die Übertragung in die Praxis all dessen ist, was wir in Klassenzimmern denken, lesen, schreiben und erklären.
Um Haltungen zu entwickeln, die zu hilfreichen Handlungskompetenzen werden können, braucht es:
- · Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst als Ausbilder und Auszubildender
- · Die Vermittlung von (eventuell auch speziellen) pädagogischen Konzepten, die entsprechende Menschenbilder transportieren
- · Eine enge Verzahnung von Schule und Praxiseinrichtung in der Ausbildung – über die Praktika hinaus
- · Organisatorische Bedingungen, die solch eine Zusammenarbeit überhaupt erst ermöglichen
und
- · Menschen, die bereit sind sich dieser so wichtigen Aufgabe zu stellen.
Biographische Angaben:
Kasswan, Gabriele; Dr. paed.; Fachschullehrerin am Oberstufenzentrum für Sozialwesen II in Berlin, Gründerin und Teamleiterin der Spezialklassen Erlebnispädagogik und Hilfen zur Erziehung.