Entstehungsgeschichte
Das Familienprojekt Triangel entstand ursprünglich Ende der 80`ger Jahre im Rahmen der Heimerziehung im heilpädagogischen Kinderheim “Haus Buckow“ in Berlin Neukölln. Die MitarbeiterInnen erkannten damals, dass die Eltern für die Entwicklung ihrer Kinder doch wichtiger waren als bisher gedacht, was zu diesem Zeitpunkt ein noch recht neuer Gedanke war.
Das Team des “Haus Buckow“ begab sich deshalb auf die Suche nach neuen Arbeitsformen, die es möglich machten, die Eltern mehr in den Hilfeprozess ihrer Kinder einzubeziehen. In Holland fand das Team ein Modell vor, in dem ganze Familien in eine spezielle Wohnung einzogen. Die Eltern unterstützten sich dort mit professioneller Hilfe gegenseitig, um eine Fremdunterbringung ihrer Kinder zu verhindern. Dieses Modell wurde im Wesentlichen vom Haus Buckow übernommen.
Die Eltern, die bisher von der direkten Arbeit mit ihren Kindern ausgeschlossen waren, wurden in der Folge einbezogen und konnten auf diese Weise die Zuständigkeit für ihre Kinder langsam wieder übernehmen. In einem mehrjährigen Prozess wurde nicht mehr allein das Kind untergebracht, sondern es zogen Schritt für Schritt ganze Familien ins Haus Buckow ein. Namentlich existiert die Triangel seit 1994, als ihr Begründer gilt Michael Biene.
Der Name “Triangel“ symbolisiert die Kommunikation im Hilfedreieck zwischen Jugendamt, Einrichtung und Eltern. Dahinter steht die Annahme: Wenn die Kommunikation zwischen diesen 3 Instanzen stimmt und auf allen Seiten Klarheit über den Kontrakt besteht, ist dies eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass eine Hilfe gelingen kann.
Das heutige Triangelteam besteht aus insgesamt 12 MitarbeiterInnen, davon zwei ehrenamtamtlich tätige Mütter, die in der Vergangenheit selbst eine Hilfe bei der Triangel in Anspruch genommen haben.
Zielgruppe
Das Angebot der Triangel richtet sich an Familien mit Kindern aller Altersstufen, in denen entweder die Eltern selbst große Probleme mit ihren Kindern sehen oder sich auf Veranlassung des Jugendamtes an uns wenden. In der Regel gab es bereits mehrere Hilfen im Vorfeld und Triangel gilt als letzte Chance vor der Fremdunterbringung. 90% der Familien, mit denen die Triangel zusammenarbeitet, sind im Kinderschutzbereich angesiedelt.
Die Triangel ist grundsätzlich offen für jede Familie, sofern sich die Eltern auf Deutsch verständigen können, in der Lage sind, während der Hilfe auf Alkohol und Drogen zu verzichten und nicht von Obdachlosigkeit bedroht sind. Wir machen dabei keine Unterschiede zwischen psychisch kranken und psychisch gesunden Eltern und Kindern.
Häufig haben die Eltern in ihrer Jugend bereits eigene Erfahrungen mit derJugendhilfe gemacht. Ein Teil der Eltern erfuhr Traumatisierungen in der eigenen Herkunftsfamilie durch seelische, körperliche oder sexuelle Gewalt. Einige Eltern gelten als psychisch auffällig oder krank. Zu den häufigsten Diagnosen zählen die Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depressionen und Angststörungen.
Leistungsangebot
Das Leistungsangebot der Triangel untergliedert sich in 3 Phasen:
Auftragsklärung (Dauer: ca. 8 Wochen)
Diese Phase dient der Kontraktklärung zwischen Eltern, Jugendamt (als Schaltstelle) und der Triangel sowie der Synchronisierung mit anderen beteiligten Institutionen wie Kriseneinrichtungen, Kliniken, Familiengericht, Schulen und Kitas. Hier geht es darum, sich inhaltlich darauf abzustimmen, was jeder dafür tun kann, dass die Eltern mit ihren Zielen gut vorankommen.
Wenn die Eltern uns den Auftrag erteilt haben sie zu unterstützen und uns klar ist, wobei wir sie unterstützen können, erstellen die Eltern ein so genanntes Zielplakat, lernen andere Eltern kennen und bereiten sich zusammen mit ihren Kindern auf den Einzug vor.
Wohnphase (Dauer: ca. 3 Monate)
Der Einzug der gesamten Familie macht es möglich, die Eltern in schwierigen Situationen mit ihren Kindern in schwierigen Situationen unmittelbar, direkt vor Ort zu unterstützen. Während der Wohnphase wohnen maximal 4 Familien zusammen. Derzeit stehen der Triangel zwei Wohnungen zur Verfügung. Die Familien behalten in diesem Zeitraum ihre eigene Wohnung bei. Die Wochenenden verbringt die Familie zu Hause. Die MitarbeiterInnen der Triangel sind nicht rund um die Uhr anwesend. Die Verantwortung gegenüber ihren Kindern verbleibt vollständig bei den Eltern.
Nachbegleitung (Dauer: 6 bis 8 Monate)
Ziel der Nachbegleitung ist es, dass die positiven Veränderungen, die während der Wohnphase erarbeitet wurden, auch zu Hause gelingen. Während der Nachbegleitung unterstützen wir die Familien im Rahmen der fortlaufenden Elterngruppen, bei Eltern-Kind-Aktionen und im Bedarfsfall auch zu Hause.
Arbeitsansatz
Unser Arbeitsansatz besteht darin, den Eltern dazu zu verhelfen, innerfamiliäre Interaktionsmuster, die sich negativ auf ihr Kind auswirken, zu erkennen und zu verändern. Wir gehen dabei in enger Kooperation mit dem jeweiligen Jugendamt und der Familie auf eine Art detektivische Forschungsreise:
– Was genau sollte sich beim Kind verändern?
– Welche Verhaltensweisen müssten die Eltern verändern, so dass eine positive Veränderung beim Kind eintritt?
– Wie können wir Fachkräfte die Eltern so unterstützen, dass ihnen dies gelingt?
Zwei wesentliche Schwerpunkte der Triangel sind die Zusammenarbeit in Elterngruppen und der Aufbau von Selbsthilfenetzwerken. Wir beziehen dabei bereits in die ersten Gespräche mit den Eltern erfahrene, zum Teil ehrenamtlich arbeitende Eltern ein. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen können sich diese Eltern in die Probleme und Sichtweisen von Eltern oft besser hineinversetzen als wir MitarbeiterInnen. Ihre Rückmeldungen sind daher für “neue“ Eltern von großem Wert. Wir MitarbeiterInnen begreifen uns in der Rolle des Coachs für die Eltern.
In den täglich stattfindenden Elterngruppen suchen alle Eltern mit Unterstützung der MitarbeiterInnen in einem gemeinsamen Prozess nach einer Lösung für die jeweiligen Probleme der Eltern. Dies geschieht in der Regel in Form von Rollenspielen. Mehrere Eltern gehen dabei in die verschiedensten Rollen. Insofern erleben auch die anderen Eltern einen Erfolg, zu dem sie aktiv beigesteuert haben, wenn sich z.B. eine Mutter zum ersten Mal in ihr Kind hineinversetzen und fühlen konnte, was ihr Kind braucht.
Durch die enge Zusammenarbeit entstehen oft Verbindungen zwischen den Eltern, die auch über die Dauer der Hilfe hinaus Bestand haben.
Im “Café Wolkenfrei“ in der Altenbrakerstr. in Neukölln, 2008 von einer ehrenamtlich tätigen Mutter gegründet, tauschen sich die Eltern auch ohne die Gegenwart von MitarbeiterInnen aus.
Arbeit an den Mustern
Ziel der Triangel ist es, die Eltern so zu unterstützen, dass diese ihre Probleme im Zusammenhang mit ihren Kindern (wieder) selbst in die Hand nehmen, sich sichtbare Veränderungen einstellen und eine Heimunterbringung verhindert werden kann.
Zu Beginn der Hilfe ist es jedoch häufig so, dass die Eltern kaum einen Sinn darin sehen, selbst etwas in die Hand zu nehmen. Sie wenden sich vielmehr mit einer Erwartungshaltung an uns, in der sie selbst nur eine passive Rolle spielen.
Ein Teil der Eltern benennt große Probleme mit ihrem Kind. Diese Eltern haben schon vieles ausprobiert, um die Probleme zu beheben und können sich nicht vorstellen, selbst noch etwas dazu beizutragen, dass sich ihre schwierige Situation verändert. Sie kommen verständlicherweise in der Hoffnung, dass wir Fachkräfte die Probleme mit ihrem Kind lösen und begreifen die Hilfe häufig als “letzten Strohhalm“. Die Probleme sehen die Eltern in der Persönlichkeit ihres Kindes verankert.
Eltern, die die Triangel auf Anweisung des Jugendamtes aufsuchen, zeigen in der Regel anfangs keine eigene Problemeinsicht. Sie kommen in dem Glauben zu uns, dass sich die Probleme mit dem Jugendamt oder Familiengericht lösen, wenn sie die Zeit in der Triangel möglichst schnell hinter sich bringen bzw. die Hilfeangebote “irgendwie mitmachen“. Es besteht jedoch keine innere Beteiligung oder eigene Veränderungsabsicht. Die Ursache für die bestehenden Probleme schreiben die Eltern eher ihrem Umfeld zu (Kita, Schule, Jugendamt, Nachbarn etc.). Ihre einzige Hoffnung zu Beginn der Hilfe ist, die Kinder behalten zu können und vom Jugendamt in Ruhe gelassen zu werden.
In beiden Fällen sehen die Eltern die Zuständigkeit für eine Veränderung nicht bei sich.
Wenn wir zu diesem Zeitpunkt als Fachkräfte einer Mutter mit der Haltung gegenübertreten würden, dass wir es besser wissen und sie von etwas überzeugen wollen, was für die Mutter vielleicht gar kein Problem darstellt, wird diese sich wahrscheinlich zurückziehen oder sich gegen die empfundene Bevormundung zur Wehr setzen. Beide Seiten werden in diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Kampf austragen und wir Fachkräfte könnten daraus den Schluss ziehen, dass die Mutter die Hilfe verweigere.
Andere Eltern werden sich wiederum über unser Engagement eher freuen (“Prima, endlich weiß mal jemand, wo es lang geht“) und sich in der Erwartung, dass andere die Probleme lösen, beruhigt zurücklehnen. Wir MitarbeiterInnen könnten daraufhin annehmen, dass diese Mutter nicht in der Lage ist, die erforderlichen Schritte zu gehen und in der Folge die Zuständigkeit für die Lösung der bestehenden Probleme immer mehr übernehmen.
Auf diese Weise entstehen Muster, die die Eltern während des gesamten Hilfeverlaufs in einer inaktiven Rolle verbleiben lässt.
In der so genannten “Musterarbeit“ geht es uns daher darum, mit den Eltern und dem Jugendamt die bisher eingenommenen Rollen und Zuständigkeiten bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Hilfe neu auszuhandeln und den Eltern wieder eine aktive Rolle beizumessen.
Der Idee der Musterarbeit liegt eine Grundannahme zugrunde, die der Triangel bis heute als Arbeitshypothese dient:
Die Aktivität von Eltern hängt weniger von der Symptomatik ihrer Kinder ab oder von einem ausgefeilten Elternaktivierungskonzept. Sie hängt vielmehr ab von:
– der Haltung der Mitarbeitenden im Hilfesystem
– den Erklärungsmodellen aller Beteiligten
– der Art der Problemdefinition
– den Interaktionsmustern zwischen Familie und Hilfesystem
– der Art der Hilfeangebote.
Die Hinterfragung der eigenen Helferrolle und Haltung wurde zu einem wichtigen Kriterium in den Teamsitzungen und das Rollenspiel zu einem wesentlichen Instrument, schwierige Situationen mit den Eltern im Team nachzuspielen und sich auf diese Weise Unterstützung durch die KollegInnen zu holen:
– Was ist da schief gelaufen?
– Was trage ich als Fachkraft vielleicht dazu bei, dass bei einer Familie keine Veränderungen auftreten?
– In welche Rolle bin ich als Helferin möglicherweise geraten?
– Sind meine Unterstützungsangebote von den Eltern überhaupt erwünscht?
– Was könnte ich verändern bzw. was wäre der nächste Schritt, den ich gehen könnte?
Um nicht Gefahr zu laufen, während des kollegialen Austauschs über die Eltern in festgefahrene Denkstrukturen zu geraten, holen wir uns seitdem in regelmäßigen Abständen Feedbacks von den Eltern ein, indem wir diese zu den Teamsitzungen einladen. Die Triangel versteht sich somit als ein lernendes System, in dem alle Beteiligten in einem gegenseitigen Austausch stehen. Das Projekt befindet sich insofern in ständiger Weiterentwicklung.
Implementierung
Die Einführung der Triangel in das bestehende Hilfesystem gestaltete sich im Jahre 2003 alles andere als einfach. Dieses Hilfeangebot passte nicht in die üblichen Konventionen und war daher nur schwer vorstell- bzw. vermittelbar. Viele Jugendämter waren verwirrt über eine Hilfeform, die als ambulantes Hilfeangebot gilt und gleichzeitig ganze Familien aufnimmt.
Die konzeptionelle Ausrichtung der Triangel wird bis heute von vielen JugendamtsmitarbeiterInnen, die sich an die Triangel wenden, als intensives Betreuungs- bzw. Kontrollangebot der gesamten Familie verstandenund sie reagieren verständlicherweise überrascht, wenn sie erfahren, dass die Eltern während der gesamten Hilfedauer in der Verantwortung für ihre Kinder bleiben und die Familien nicht rum um die Uhr von uns betreut werden.
Es ist für uns daher nach wie vor nicht einfach, zu vermitteln, dass Veränderungen nicht unweigerlich von einem erhöhten Betreuungsaufwand abhängen, sondern vielmehr von der Haltung und Rolle aller am Hilfeprozess beteiligten Personen und der Art, wie die Eltern sich gegenseitig unterstützen.
Erfolge
Sobald die Eltern erkennen, dass sie es sind, die Veränderungen bewirken können und dementsprechend handeln, zeigen sich oft verblüffende Veränderungen bei ihren Kindern. Viele Schulen melden zurück, dass sich die Kinder besser im Unterricht konzentrieren können, den Unterricht nicht mehr stören, andere Kinder nicht mehr körperlich angreifen und keine LehrerInnen mehr beleidigen. Wir haben darüber hinaus mehrfach festgestellt, dass Kinder nicht mehr einnässen oder einkoten, ausgeglichener bzw. ruhiger wirken, mehr lachen und sich mit anderen Kindern anfreunden. In mehreren Fällen nahmen adipöse Kinder ab.
Als Erfolg betrachten wir es auch, wenn Eltern aus dem Kampf mit ihrer Umwelt aussteigen und die Verantwortung für die Alltagsbewältigung mit ihren Kindern (wieder) übernehmen.
Nicht selten erleben wir überraschte Reaktionen bei JugendamtsmitarbeiterInnen, KitabetreuerInnen und LehrerInnen, wenn sie erfahren, dass Eltern aktiv auf sie zugehen und in einer völlig neuen Haltung ihr Interesse an einer Zusammenarbeit anbieten. Darüber hinaus konnten wir mehrfach beobachten, dass bei den Eltern die Symptomatik ihrer psychischen Erkrankung nachließ, sobald sich Erfolge im Zusammenhang mit ihren Kindern einstellten.
Was bleibt zu tun?
Unserer Erfahrung nach kommt es immer wieder vor, dass Eltern uns z.B. sagen: “Mein Kind hat eine narzisstische Störung. Ich habe eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Das hat schon damals der Psychiater in der Klinik gesagt. Wie stellen Sie sich das vor? Was soll ich denn da noch machen? Bei den Beeinträchtigungen.“
Damit eine Hilfe für das Kind dauerhaft gelingen kann, ist es unserer Ansicht nach notwendig, dass sich die Glaubenssätze der Eltern verändern. Und dafür könnten wir Fachkräfte etwas tun. Wir könnten uns noch mehr als bisher in unserer Blickrichtung und in unseren Botschaften an die Eltern annähern:
Eine dauerhafte Veränderung beim Kind können nur die Eltern selbst bewirken, ob mit oder ohne psychische Erkrankung. Deshalb ist ihre Mitwirkung unabdingbar.
Das SIT- Modell
Der hier schematisch verkürzt dargestellte Arbeitsansatz nach dem SIT-Modell (Systemische Interaktionstherapie und –beratung) wurde von Michael Biene aufgrund seiner praktischen Erfahrungen im “Haus Buckow“entwickelt.
Das SIT–Modell ist ein systemischer Ansatz, der neben der Bedeutung des Familiensystems die Haltung und Rollenverteilung des Helfersystems hinterfragt und die Bedeutung des Sozialraumes mit einbezieht. Seit 2004 gilt die SIT-Fortbildung als Vorraussetzung für die Mitarbeit in der Triangel.
Familienprojekt Triangel, Träger: JaKuS gGmbH