Hauptpersonalrat Berlin zum Projekt “Sozialraumorientirung in der Berliner Jugendhilfe” (Neuordnungsagenda 2006)

… als Diskussionsbeitrag zum neu beschlossenen Projekt

„Personalausstattung eines sozialräumlich organisierten Berliner Jugendamtes“

 

Ausgangssituation

Zur Unterstützung der vom Senat geplanten Umsteuerung im Bereich „Hilfe zur Erziehung“ wurde 2003 das Neuordnungsagendaprojekt „Qualitätsentwicklung bei den Hilfen zur Erziehung“ (Projekt QE HzE) begonnen.

 

Parallel dazu erarbeitete die zuständige Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport in Kooperation mit den bezirklichen Jugendämtern zum einen das „Leitbild Jugendamt“ und zum anderen eine Konzeption zur fachlichen Neuausrichtung der Berliner Jugendhilfe das Konzept „Sozialraumorientierung“. Mit beiden Initiativen wurde das strategische Ziel verfolgt, die Handlungsfähigkeit der Berliner Jugendhilfe unter den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erhalten und möglichst zu erweitern. Zur Umsetzung wurde das Projekt „Optimierung der Entscheidungsprozesse, der Organisation und der Finanzierung der Berliner Jugendhilfe – Einführung der Sozialraumorientierung“ (Projekt SRO) im Rahmen der Neuordnungsagenda zwischen der zuständigen Senatsfachverwaltung und den Bezirken verabredet.

 

In Abstimmung mit dem Rat der Bürgermeister (RdB) waren von Beginn an die Berliner Jugendämter einbezogen. Die Ergebnisse des bisherigen Projektes QE HzE flossen in das neue Projekt „Einführung der Sozialraumorientierung“ ein.

 

Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe

 

Mit dem Ansatz der Sozialraumorientierung (SRO) soll die Handlungsfähigkeit der Berliner Jugendhilfe wiederhergestellt werden. Trotz der bedrängenden finanziellen Rahmenbedingungen soll sie den Herausforderungen angemessen begegnen können. Damit ist eine grundlegende Veränderung der Berliner Jugendhilfe verbunden, bezogen auf die sozialpädagogischen Methoden, auf die Aufbauorganisation der Jugendämter wie Arbeitsstrukturen, Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen und Gremienarbeit bei öffentlichen wie freien Trägern.

 

Das Prinzip knüpft dabei auch an die „bewährten und immer noch gültigen Prinzipien der Gemeinwesenarbeit und Lebensweltorientierung an. Damit die fachlich-methodischen Prinzipien der Sozialraumorientierung umgesetzt werden können, ist es nötig,

 

  • Sozialräume festzulegen,
  • regionalisierte Arbeitsstrukturen zu installieren,
  • die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern sowie weiteren Akteuren verbindlich zu gestalten und
  • passende entsprechende Finanzierungen zu entwickeln“.

 

Für den Hauptpersonalrat ist darüber hinaus wichtig, dass die Berliner Jugendämter über ausreichend Fachkräfte verfügen und diese systematisch fort- und weiterbilden.

 

Aktuelle Situation der Berliner Jugendämter – Problemlage

 

Trotz zahlreicher Vorkommnisse von Vernachlässigungen und Misshandlungen an Kindern sowie Kindestötungen wurden die Mittel für Hilfen zur Erziehung (HzE) in den letzten Jahren um über 150 Millionen Euro gekürzt. Für 2007 werden nur noch 290 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt. Dies halten die Fachleute in der Berliner Jugendhilfe für nicht ausreichend.

Innerhalb der Berliner Jugendämter ist die Umsetzung der Sozialraumorientierung nach einer vom Hauptpersonalrat kürzlich durchgeführten Umfrage stark gefährdet. Hier ein Auszug aus den von Beschäftigten genannten Gründen:

 

  • Sie stellen massive Arbeitsverdichtungen fest und beklagen vielfach dauerhafte Überlastungen.
  • Sie kritisieren die zu hohen Fallzahlen und fehlende Fallzahlenschlüssel.
  • Sie weisen auf das Fehlen von Sozialarbeiter/innen-Stellen insbesondere im präventiven Bereich hin.
  • Sie machen auf die besonderen Probleme lebensälterer Fachkräfte aufmerksam (z.B. Burn-out-Syndrom).
  • Sie weisen gegenüber ihren verantwortlichen Führungskräften darauf hin, dass sie bisweilen ihren gesetzlichen Auftrag nicht mehr erfüllen und dementsprechend keinen ausreichenden Kinderschutz sichern können.
  • Sie machen deutlich, dass offenbar nicht in allen bezirklichen Jugendämtern die Qualitätsstandards in der Jugendförderung eingehalten werden.
  • Sie kritisieren, dass oftmals niedrigschwellige Hilfeangebote reduziert werden und sogar wegfallen müssen und somit bestimmte Leistungen für hilfesuchende Bürgerinnen oder Bürger nicht mehr oder nicht mehr im gewünschten Umfang oder Zeitraum erbracht werden können.
  • Sie stellen aber klar, dass sie trotz aller widrigen Rahmenbedingungen und Umstände nicht willkürlich handeln und Hilfesuchende von ihnen immer und nach bestem Wissen die fachlich gebotene Hilfeleistung erhalten.

 

Der Hauptpersonalrat fordert

  1. Das neue Projekt „Personalausstattung eines sozialräumlich organisierten Berliner Jugendamtes“ muss zügig realisiert werden. Die Beschäftigtenvertretungen müssen hieran sofort beteiligt werden.
  2. Aufgrund der Altersstruktur und des sich abzeichnenden Fachkräfteverlustes in den nächsten Jahren, muss der Senat als Sofortmaßnahme einen jährlichen Einstellungskorridor von mindestens 50 Fachkräften einrichten.
  3. Das Abgeordnetenhaus und die Bezirke müssen in den laufenden Beratungen für den Haushalt 2008 / 2009 die für den Erfolg der SRO notwendigen Finanzen einschließlich der Mittel für Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte bereitstellen.
  4. Ein weiterer Stellenabbau in der Berliner Jugendhilfe darf nicht mehr vorgenommen werden!

 

Zusammenfassung


Der Hauptpersonalrat bezweifelt, dass ohne ausreichende Finanzierung der Neuorganisation der Berliner Jugendhilfe es zu einer so genannten win-win-Situation zwischen Hilfesuchenden und Jugendhilfeanbietern kommen kann. Die sozialraumorientierte Arbeit fordert in einer Großstadt wie Berlin ein hohes Maß an Qualität, an Kommunikations- wie Kooperationsfähigkeit, an Arbeit in Netzwerken und die Einbeziehung betroffener Kinder junger Menschen und Familien. Ob diese hohe Qualität und somit auch ein optimales Leistungsangebot der Berliner Jugendhilfe erzielt werden kann, hängt u.a. vom verantwortlichen Handeln, insbesondere des Senats und des Abgeordnetenhauses ab. Sie können die hierfür notwendigen Strukturen finanziell absichern.

 

In Berlin leben derzeit mehr als 150.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Familien, die mit den sehr begrenzten Bedingungen von Hartz IV auskommen müssen. Auch angesichts dieser Situation befürchtet der Hauptpersonalrat, dass eine Konzentration der Berliner Jugendämter auf die so genannten Kernaufgaben nicht dazu führen wird, Kinder, junge Menschen und Familien optimal zu fördern und ihnen notwendige Hilfen anbieten zu können.

 

Der Hauptpersonalrat erwartet, dass die Fachkräfte aus den Berliner Jugendämtern in dem neuen Projekt „Personalausstattung eines sozialräumlich organisierten Berliner Jugendamtes“ beteiligt werden und bietet seine Mitarbeit an.