Zunächst einmal ist festzustellen, dass die gesetzlichen Aufträge und die fachlichen Leitlinien für die Arbeit der beiden Institutionen sehr unterschiedlich sind. In der Fachliteratur wird bisweilen hierzu das Verhältnis zwischen Feuer und Wasser bemüht.
So gilt zunächst für den Bereich der Jugendhilfe die Maxime aus § 1 SGB VIII, dass jeder junge Mensch ein Recht hat auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Oder wie Johannes Münder es einmal ausgedrückt hat: Das SGB VIII, die Jugendhilfe meint aus Sicht der Kinder, Jugendlichen, Familien grundsätzlich „Selbstverwirklichung nach eigenen Vorstellungen“.
Das bedeutet doch im guten emanzipatorischen Sinne: Kinder, Jugendliche und deren Familien sollen die Hilfen durch die Jugendämtern erhalten, die sie als junge Menschen brauchen und annehmen wollen, die sie zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit benötigen und von denen sie meinen, dass sie sie weiter bringen – nicht im Sinne einer vorgegebenen Normalbiografie, allenfalls als Aushandlung darüber, was für die Entwicklung des konkreten Kindeswohl wichtig wäre und im Sinne des Kindeswillens annehmbar erscheint.
Im Fokus von Arbeit hat § 1 SGB II hat zum Ziel, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten kann. Hierzu sind ihm im Rahmen des Forderns und Förderns geeignete Angebote zu machen. Fordern heißt, dass wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen zuvor vereinbarten Verpflichtungen nicht nachkommt, ihm dann Sanktionen auferlegt werden können. Das führt gerade bei jungen Menschen nicht selten zu einer 100%igen Einstellung der Regelleistung und im Wiederholungsfall sind die Kosten der Unterkunft davon ebenfalls betroffen.
Die Ziele des SGB II sind also auf die Beseitigung der (materiellen) Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger ausgerichtet.
Trotz eines bundesweiten Trends zum Rückzug der Kommunalpolitik nach Inkrafttreten des SGB II aus dem Bereich der Jugendsozialarbeit bzw. einer Stagnation der jugendpolitischen Aktivitäten in Richtung Jugendsozialarbeit, hat sich hier im Regionalverband eine gute Zusammenarbeit zwischen den Fachdiensten Arge und Jugendamt etabliert. U. a. existiert bereits seit 2007 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Jugendamt und der Arge, die kürzlich auf einer der gemeinsamen Fachtagungen mit dem Titel „Dazwischen-Jugendliche an der Schnittstelle SGB II und SGB VIII“ von Herrn Prof. Dr. Johannes Münder, Kommentator und Herausgeber der Gesetzeskommentare SGB II und VIII, als bundesweit beispielhaft gewertschätzt wurde.
Kooperationsvereinbarung
In dieser Kooperationsvereinbarung ist geregelt, dass sowohl die Leitungsebene der jeweiligen Fachdienste wie auch die operativen Ebenen unter Berücksichtigung des gesetzlichen Auftrages und den gesetzlichen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zusammenarbeiten.
Zur Absicherung einer zielgerichteten und angemessenen Unterstützung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt sind die MitarbeiterInnen der Arge, in den Fällen, in denen durch das Jugendamt Hilfe zur Erziehung gewährt wird, verpflichtet kooperativ mit den MitarbeiterInnen des Sozialen Dienstes und der Jugendgerichtshilfe zusammen.
Gegenseitige Information unter Einbeziehung der Betroffenen ist hier erster Grundsatz, um die kommunalpolitisch gewollte Zusammenarbeit realisieren zu können.
Clearingstelle
Für junge Menschen, die LeistungsbezieherInnen der Arge sind und bei denen gleichzeitig ein sozialpädagogischer Handlungsbedarf besteht, wurde zwischen den beiden Fachdiensten eine Clearingstelle eingerichtet. Die Clearingstelle tagt in ca. 4 wöchigem Abstand und kann sowohl von den MitarbeiterInnen der Arge, wie auch des Jugendamtes genutzt werden. Feste TeilnehmerInnen der Clearingprozesse sind der Koordinator des Jugendamtes für die Bereiche Jugendsozialarbeit und Arbeitsmarktpolitik und der Koordinator der Arge für den Bereich Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe. Für die Behandlung der Einzelfälle kommen die im Fall zuständigen VermittlerInnen oder Fallmanager/innen und die jeweils zuständigen BezirkssozialarbeiterInnen hinzu. Je nach Sachlage kommen auch externe ExpertInnen hinzu. Die Clearingstelle existiert seit März 2009 und wird in zunehmendem Maße in Anspruch genommen. Vielfach sind die eingebrachten Fälle dem Jugendamt gut bekannt. Es sind Jugendliche mit sogenannten Maßnahmekarrieren, bei denen die bisherigen Interventionen im Bereich der Jugendhilfe häufig erfolglos geblieben sind. So wurden Maßnahmen der Jugendhilfe in vielen Fällen beendet, weil die Jugendlichen keine Mitwirkungsbereitschaft gezeigt haben. Sie verweigern sich dem klassischen Regelangebot. Gerade diese Personengruppe aber ist mehrfach problembelastet. Sie weisen meistens erhebliche Traumatisierungen auf, sind zum Teil straffällig geworden, haben Drogenprobleme oder massive Beziehungsschwierigkeiten. Nachdem die Jugendhilfe in der Regel im Sinne eines Abbruchs beendet wurde, und sie letztlich im „Hoheitsgebiet“ des SGB II „landen“ sind sie mit dem Gebot des Förderns und Forderns grundsätzlich überfordert. Das drückt sich aus in: Nichterscheinen zu Terminen bei der Arge, unregelmäßige Teilnahme an den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder Verstöße gegen die Eingliederungsvereinbarung. Häufig können sie wegen der „Vorgeschichte“ und der vorhandenen Problematiken nicht mehr in ihren Herkunftsfamilien leben und befinden sich somit in eher prekären Lebensverhältnissen. Das heißt, sie schlagen sich solange bei verschiedenen Freunden oder auf der Straße durch bis es nicht mehr geht und der Einzug in eine eigene Wohnung oft im Rahmen durch öffentliche Unterstützung möglich gemacht wird, wobei viele von ihnen wegen mangelnder Tagesstruktur und fehlender Sozialkompetenzen auch damit überfordert sind.
In der Clearingstelle wird überlegt inwieweit die Interventionen der Arge mit einem sozialpädagogischen Angebot des Jugendamtes verknüpft werden können. Hier z. B. werden arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zwischen Arge und Jugendamt abgestimmt. Kommt eine eigene Wohnung in Betracht kann diese Option mit einer niedrigschwelligen Betreuungsleistung des Jugendamtes verbunden werden.
Absenkung des Alg 2 § 31 SGB II (Sanktionen) mit Auswirkungen auf Lebenslagen junger Bedarfsgemeinschaften mit kleinen Kindern
Wie bereits erwähnt ziehen Pflichtverletzungen gegen die Eingliederungsvereinbarung im SGB II Absenkungen und Aussetzungen der Regelleistung nach sich. Der Gesetzgeber hat dem SGB II Träger hier einen minimalen Ermessensspielraum eingeräumt. Nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann hier von einer Sanktion abgesehen werden. Sind an dieser Stelle junge Menschen bis 25 Jahre betroffen, wird bei einem ersten Pflichtverstoß die Hilfe zum Lebensunterhalt bereits eingestellt. Es können dann Lebensmittelgutscheine gewährt werden. Bei einer weiteren Pflichtverletzung sind auch die Kosten der Unterkunft betroffen. Im Falle von Bedarfsgemeinschaften sind hiermit Auswirkungen auf Kinder unvermeidlich. Dies kann im Einzelfall auch die Frage eröffnen, ob durch eine berechtigte Sanktion der Arge eine erhebliche Verschärfung der ohnehin schon prekären Lebenslage das Wohl eines Kindes gefährdet wird.
Zu dieser Thematik wurde zwischen Jugendamt und Arge die Vereinbarung getroffen, dass die VermittlerInnen und FallmanagerInnen bereits vor Einleitung einer Sanktion bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die mit Kindern unter 6 Jahren in einer Bedarfsgemeinschaft leben, die Fälle in die gemeinsame Clearingstelle zu besprechen sind. Hier soll dann im Rahmen einer gemeinsamen Fallbesprechung geprüft werden, ob alle Aspekte des Lebensumfeldes ausreichend berücksichtigt und gewürdigt sind bzw. wie eine sinnvolle Hilfeplanung von Seiten der Jugendhilfe für diese Bedarfsgemeinschaft aussehen könnte, bzw. an welcher Stelle beide Institutionen ihre Hilfsangebote aufeinander abstimmen können. Anderseits erhält das Jugendamt Kenntnis, wenn Eltern kontinuierlich ihre Mitwirkungspflicht verletzen und somit die finanzielle Situation der gesamten Bedarfsgemeinschaft gefährden, so dass unter Umständen eine ausreichende Versorgung der Kinder nicht mehr gewährleistet ist.
Vermieden werden soll jedoch ausdrücklich, dass die Absenkung des Arbeitslosengeldes wegen Pflichtverletzung der Eltern zwangsläufig und unabgestimmt Jugendhilfemaßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls nach sich zieht.
Wohnclearing-Stabil
Als weiterer wesentlicher Baustein für die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Arge ist das gemeinsame Projekt „Wohnclearing-Stabil“ zu nennen. Das Projekt ist angesiedelt bei einem freien Träger der Jugendhilfe, beim SOS Kinderdorf e.V.
Zielgruppe sind Jugendliche bis 25 Jahre, die obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht, im Alg 2 Bezug sind und einen Förder- und Betreuungsbedarf im Sinne des SGB II und SGB VIII haben. Nachdem dieser Betreuungsbedarf zwischen Jugendamt und Arge festgestellt wurde, können die jungen Menschen in von SOS angemieteten Wohneinheiten einziehen. Sie besuchen die arbeitsmarktpolitische Maßnahme „Stabil“ und erhalten eine sozialpädagogische Begleitung durch den Jugendhilfeträger. Die Arge finanziert die Kosten der Unterkunft, sowie die arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Das Jugendamt finanziert die sozialpädagogische Begleitung in Form von in der Regel 8 Fachleistungsstunden pro Woche. Die Betreuungsdauer ist zunächst auf 4 Monate angelegt, kann aber im Einzelfall bei Bedarf und Mitwirkungsbereitschaft der jungen Menschen verlängert werden. Im Betreuungszeitraum soll mit den Jugendlichen versucht werden individuelle Problemlagen aufzuarbeiten, eine realistische Perspektive zu entwickeln und in diesem Sinne unmittelbar eine sinnvolle Anschlussperspektive an das Projekt zu finden. Es kann Ziel sein, dass junge Menschen eigenverantwortlich in einer Wohnung leben oder die Lebensverhältnisse in der Bedarfsgemeinschaft stabilisiert werden können, so dass ein weiterer Verbleib und die eigenverantwortliche Übernahme der Wohnung möglich ist.
Fachveranstaltungen an der Schnittstelle SGB II und SGB VIII
Mit der Intention die Zusammenarbeit zwischen den MitarbeiterInnen des Jugendamtes und der Arge auf der Arbeitsebene zu verbessern fand am 10. Dezember 2008 eine Fachveranstaltung mit dem Titel “Möglichkeiten und Grenzen in der Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und SGB II Träger“ statt. In der Veranstaltung fand eine bilanzierende Darstellung der jeweiligen Arbeitsinhalte und Aufträge der beiden Kooperationspartner/innen statt. Darüber hinaus wurde in regionalen Arbeitsgruppen zusammengearbeitet und damit die Gelegenheit gegeben, sich persönlich kennenzulernen. Die Fachveranstaltung bildete einen Auftakt zu weiteren regelmäßigen Treffs auf der regionalen Ebene. Wesentliche Grundlage für eine gute Zusammenarbeit ist nun einmal, dass man weiß wer sich am „anderen Ende der Leitung“ befindet.
Eine weitere Veranstaltung im Rahmen des geschilderten Prozesses mit dem Titel „Dazwischen – Jugendliche an der Schnittstelle Jugendhilfe und Grundsicherung für Arbeitssuchende“ fand am 12. März 2010 statt. Schwerpunktthema war die Situation der obdachlosen bzw. der von Obdachlosigkeit bedrohten Jugendlichen im Regionalverband. Die mit 200 TeilnehmerInnen außerordentlich gut besuchte Fachtagung diskutierte die Möglichkeiten und bereits bestehende Ansätze der beiden Leistungsträger. Gleichzeitig wurde von dem renomierten Berliner Juristen Herrn Prof. Dr. Johannes Münder die rechtliche Situation ausgelotet. Jugendamt und Arge nehmen die Ergebnisse dieser Fachtagung zum Anlass die bestehenden Ansätze der guten Zusammenarbeit weiter auszubauen und inhaltlich zu verbessern. Um Lebenssituationen jungen Menschen ernsthaft Stabilisieren zu können geht es in erster Linie um Kontinuität, Ausdauer und Verlässlichkeit auf Seiten stützender Systeme, in unserem Fall von Jugendamt und Arge sowie deren Zusammenarbeit.