Eberswalde bei Berlin
In Zeiten, in denen Arbeitgeber Wagnisbereitschaft und umfassende soziale Kompetenzen fordern, hat sich eine neue Art des Trainings etabliert. Vom Schulkind bis zum Rentner – jeder, der sich weiterentwickeln will, kann geschult werden. Ein kleiner Einblick in die Arbeit eines Erlebnispädagogen.
Es ist ein warmer Samstag Anfang Juni, 25 Grad, leicht bewölkt, angenehmes Badewetter. Ingo Koßmann sitzt an einem See und beobachtet die Arbeiten zweier Teams, die damit beschäftigt sind, aus Latten, Luftballons und anderen ungewöhnlichen Utensilien Flöße zu bauen. „Denkt daran, was ich euch gesagt habe, ihr müsst euch mit der anderen Gruppe absprechen, die Flöße sollen zum Schluss gleich aussehen – und natürlich auch schwimmen können“, ruft er den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu. Ein paar Mal geht er umher, begutachtet die Arbeiten und lässt produktive Andeutungen fallen. Er wirkt zuversichtlich. Als es zum Vergleich kommt, wird schnell klar, dass die Gruppen zwar miteinander geredet haben – jedoch unterscheiden sich die Flöße teilweise stark in ihrem Aufbau. Aber sie schwimmen. So paddeln neun junge Menschen von einer Seite des Sees zur anderen.
Es ist ein Tag, wie man ihn vermutlich des Öfteren in Ingo Koßmanns Arbeitsleben findet. Koßmann ist staatlich anerkannter Erzieher, sowie selbstständiger Erlebnispädagoge und Outdoortrainer – Jahrgang ’67 – und die Ruhe in Person. Mit Käppi und Sonnenbrille könnte man den 45jährigen mit einem Roadie von Motörhead verwechseln – oder er ist der lässige Kumpeltyp, der immer einen coolen Spruch auf den Lippen hat. „Die eigene Erfahrung macht‘s halt einfach, ich will nichts anderes – wenn du mit dem, was du machst ein gutes Gefühl hast, warum sollst du dann was anderes machen?“
Die Truppe soll sich in zwei Reihen mit den Gesichtern zueinander aufstellen und die Zeigefinger so ausstrecken, dass alle auf einer Höhe sind. Dann kommt der „magische Stock“, ein Bambusstück, das von allen gleichzeitig auf den Boden gelegt werden soll. Doch wie von Geisterhand steigt dieser lieber immer weiter in die Höhe, obwohl ihn alle unten sehen wollen. „Ihr habt nicht miteinander kommuniziert, jeder hat sein eigenes Ding gemacht – dadurch hat es nicht funktioniert!“ Koßmann grinst. Genau das war anscheinend bei Menschen, die sich frisch kennengelernt haben, zu erwarten. Nach weiteren missglückten Versuchen bricht er ab. Erlebnispädagogik, das sind Natursportarten wie Segeln, Outdoortraining oder Sportklettern kombiniert mit Methoden aus der Theater-, Abenteuer- und Spielpädagogik sowie der Gruppendynamik und der Sozialpädagogik. Also drinnen und draußen. „Meins ist eher draußen sein“ – Kanuguides, Wildnis erforschen, Hochseilgärten, das ist Koßmanns Spezialität. „Wenn da eine Schulklasse aus der Stadt ankommt und irgendwann platzt bei denen der Knoten – das sind so Momente wo du sagst: wow, da merkst du, dass was passiert!“ Die Erlebnispädagogik steigt zum Beispiel bei Arbeitgebern seit einiger Zeit immer weiter im Ansehen, denn soziale Kompetenz und Wagnisbereitschaft gewinnen zunehmend an Bedeutung.
Die Auswertung am Morgen nach der nächtlichen Wanderung
Die Kursteilnehmer lernen, wie man mit Karte und Kompass umgeht. Ein dunkler Wald, stockfinstere Nacht – nur eine kleine Rotlichtlampe. Unvorbereitet geht es los. Vorher werden Lose gezogen, wer auf wen still aufpasst. Jeder hat seinen persönlichen Schutzengel, der sich nur zu erkennen geben soll, wenn es von Nöten ist. Zugewucherte Waldwege, Brennnesseln, Mücken und zwei Guides, denen erst ein paar Stunden vorher erklärt wurde, wie man eine Karte einnordet. Der Wald als solcher: total unbekannt für die Ortsfremden. Ziel ist es, einen kleinen Bach zu finden. Nach einiger Zeit die Feststellung: man befindet sich ca. 200 Meter entfernt von ihm, direkt an einem großen Kanal – unter sternenklarem Himmel.
Die Erlebnispädagogik nutzt ganz gezielt Gruppenerfahrungen, um die eigene Persönlichkeit und die sozialen Kompetenzen weiter zu entwickeln. An einem solchen Kurs kann jeder, der die finanziellen Mittel hat, teilnehmen. Oder man stößt zufällig auf ein Projekt, das fast vollständig von einem oder mehreren Trägern finanziert wird. Viele Unternehmen versuchen auch, ihre Angestellten mehr aufeinander einzustimmen und übernehmen freiwillig entstehende Kosten. Die Floßbauer-Integrationstruppe kommt aus Vietnam, Russland, der Ukraine, dem Irak und aus Deutschland. Finanziert mit staatlichen Zuschüssen. „Normalerweise gehen solche Kurse länger, wir haben ja nur zwei Tage – aber weniger ist meistens eh mehr.“
Die Vorbereitung des Seilkreises
Koßmann führt seine Truppe an den Rand des Kanals und erklärt ihnen die Sternbilder – wie man unter dem Sternenhimmel mit Sicherheit immer nach Norden kommt, ist schnell verinnerlicht – und die Wegverfehlung vergessen. Zufällig fliegt noch die Internationale Raumstation „ISS“ vorbei, ein weiteres Highlight an diesem Abend. Ein heller Punkt, der relativ zügig über den Himmel rauscht. Dann geht es über einen anderen Weg zurück zur Unterkunft. Der Bach war nicht annähernd das Ziel. „Ziel war es, die Gruppe in sich zu stärken, dass man sich aufeinander verlassen kann in solchen Situationen. Das habt ihr gut gemacht, Respekt vor der Herausforderung die ihr bewältigt habt“, lässt Koßmann das Erlebte am nächsten Tag Revue passieren.
Zum Kursabschluss legt der Pädagoge mit einem Seil einen Kreis aus, der sich in drei Ringe unterteilt. Jeder soll sich positionieren – wer ganz außen steht konnte nicht viel Neues lernen, wer in den Mittelpunkt tritt sehr viel. Nach kurzem Zögern steht zwar keiner im mittleren Kreis, aber die Gruppe hat sich fast geschlossen im angrenzenden Ring versammelt. Auch die Übung mit dem „magischen Stock“ funktioniert nun. Gleich beim ersten Versuch legen die Teilnehmer den Stock mit guter Koordinierung auf den Boden. Allgemein ein klarer Erfolg.
Er hätte vielleicht noch größer sein können, wäre mehr Zeit gewesen.
Posted by Daniel Jahn