Um eine sinnvolle Einordnung der Erlebnispädagogik in die pädagogische Landschaft zu ermöglichen, werden ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, im folgenden markante Entwicklungsschritte kurz vorgestellt.
Das Fundament der Erlebnispädagogik wird im 18. Jahrhundert zur Zeit der Revolution in Frankreich gelegt. Es ist die Zeit der großen, zukunftsweisenden gesellschaftlichen Umbrüche, in der die gesamte Gesellschaft radikal umgestaltet wurde. Es ist Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), diese so widersprüchliche Persönlichkeit, der mit seinem Werk „Emile“ ohne jede Frage die Grundlage des künftigen handlungsorientiertem Lernens gelegt hat. Wir verdanken ihm die entscheidende Erkenntnis darüber was das Leben tatsächlich ausmacht: „Leben ist nicht atmen, leben ist handeln…Und: Man wird gut, indem man das Gute tut…“ (Rousseau 1975, S. 15) Rousseaus zentrale Bedeutung für die moderne Erlebnispädagogik liegt in der Erkenntnis, dass Emile eigene Erfahrungen sammeln muss, die ihm kein Pädagoge stellvertretend vermitteln kann. Erfahrungen, Handlungen und Erlebnisse spielen in Rousseaus Vorstellungen zum ersten Mal bei der Erziehung junger Menschen tatsächlich eine entscheidende Rolle. „…denkt daran…dass ihr in allen Fächern mehr durch Handlungen als durch Worte belehren müsst. Denn Kinder vergessen leicht was sie gesagt haben und was man ihnen gesagt hat, aber nicht, was sie getan haben und was man ihnen tat. Der Knabe soll die natürlichen Folgen seiner Handlungen am eigenen Leib erfahren. Wenn er die Fensterscheibe zerbricht, so mag der kalte Wind Tag und Nacht herein blasen und das Kind sich eine Erkältung holen, denn es ist besser, dass es verschnupft, als närrisch wird. (Rousseau 1975, S. 80) Rousseau legte damit das Fundament eines pädagogischen Ansatzes, der das Lernen über eigene Erfahrungen und nicht das Lernen durch oder über Belehrungen in den Mittelpunkt stellt.
Diese zentrale Erkenntnis haben nach ihm weitere Persönlichkeiten aufgegriffen und weiter entwickelt.
So auch John Dewey (1859-1952) – dem Begründer des handlungs- und erfahrungsorientierten Lernens – den ich hier als zweiten Impulsgeber für die Erlebnispädagogik benennen will. Mit Dewey ist „…ein Gramm Erfahrung besser als eine Tonne Theorie, einfach deswegen, weil jede Theorie nur in der Erfahrung lebendige und der Nachprüfung zugängliche Bedeutung hat.“ (Dewey 1993, S 193) Das Lernen durch Handeln ist für Dewey die entscheidende Komponente, denn sie ist wesentlich nachhaltiger als alle anderen Formen der Einflussnahme auf junge Menschen.
Neben Rousseau und Dewey soll an dieser Stelle mit David Henry Thoreau (1818-1862) noch eine weitere wichtige Persönlichkeit benannt werden. Die Erlebnispädagogen verdanken Thoreau die entscheidende Erkenntnis, dass die Natur sie als große Lehrmeisterin, auf so wunderbare Art und Weise in ihrem eigenen pädagogischen Handeln unterstützen kann. Thoreau, der auch als Vater der Ökologiebewegung angesehen wird, hat wie kein anderer vor ihm erkannt dass die Natur uns eine „…spirituelle Botschaft…(vermittelt), die hinter den materiellen Erscheinungen verborgen ist.“ (Heckmair/Michl 1998, S.10) Ausgangspunkt dieser Erkenntnis war ein spannendes Selbstexperiment in den Wäldern seiner Heimatstadt Concord. Thoreau lebte hier in einer schlichten Blockhütte und suchte die Einfachheit und Einsamkeit. Er kritisierte die zunehmende Entwicklung, die mit einem stetigen Streben nach Luxus, Konsum, Bequemlichkeit und Technikglauben für die Menschen verbunden war. Die Zeit der Einfachheit, des bewussten Erlebens der Natur, sich selbst als Teil dieser Natur zu spüren waren für Thoreau zentrale Erfahrungen. Würde die Erlebnispädagogik auf die Natur als Unterstützerin im pädagogischen Handeln verzichten, verzichtete sie damit auf eine ihrer wirksamsten Kräfte!
Beschäftigen wir uns nunmehr mit den weiteren Entwicklungen im 20. Jahrhundert.
Wieder waren es große gesellschaftliche Umbrüche, diesmal in Deutschland, die dazu führten das neue Wege auch in der Pädagogik beschritten wurden. Die Gründung der Weimarer Republik bildete den Auftakt großer gesellschaftlicher Veränderungen. Diese Zeit war geprägt durch mutige Experimente in der Pädagogik. Eine Vielzahl neuer Konzepte, Ideen und Ansätze wurden entwickelt, die sich alle unter dem Begriff Reformpädagogik zusammenfassen lassen. Einige davon, wie beispielsweise die Ideen von Maria Montessori wirken dabei bis in unsere heutige Zeit. So unterschiedlich und verschieden all diese Ideen und Konzepte waren, lassen sich doch wesentliche Gemeinsamkeiten erkennen denn: das Erlebnis, die Natur, die Gemeinschaft, die Einfachheit, die Echtheit, der Augenblick und die Unmittelbarkeit spielten in all diesen Ansätzen eine wichtige Rolle.
Diese lebendige Zeit des Experimentierens gilt denn auch als die eigentliche Geburtsstunde der modernen Erlebnispädagogik.
Der Name Kurt Hahn (1886-1974) ist dabei untrennbar mit der Entstehung der modernen Erlebnispädagogik als eigentliche pädagogische Methode verbunden. Hahn, der auch als „Vater der Erlebnispädagogik“ bezeichnet wird, legte als Leiter eines Landerziehungsheimes auf Schloss Salem am Bodensee mit seinem Konzept der Erlebnistherapie das Fundament der heutigen Erlebnispädagogik. Ausgangspunkt war dabei zunächst seine unmittelbare Kritik am Zustand der Jugend. Er beklagte bei der Jugend „…den Mangel an menschlicher Anteilnahme… Sorgsamkeit… Initiative und Spontanität… den Verfall der körperlichen Tauglichkeit…“ (Heckmaier/Michl 1998, S. 24) und wollte diesen sogenannten „Verfallserscheinungen“ mit seiner Erlebnistherapie wirksam begegnen. Hahn war der festen Überzeugung dass man durch besondere Erlebnisse den Jugendlichen helfen könnte, sich ihrer wahren Kräfte bewusst zu werden. In seinem berühmten Zitat: „Wir vermögen mehr als wir glauben. Wenn wir dies erleben, werden wir uns in Zukunft nicht mit weniger zufrieden geben.“ (Kurt Hahn) – macht er seine Erfahrung auf sehr kraftvolle Weise deutlich. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten zwang Hahn nach Großbritannien zu emigrieren. Von dort kehrte er nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurück.
Hier gründete er unter anderem mit der bekannten deutschen Pädagogin Minna Specht im Jahre 1951 die „Deutsche Gesellschaft für europäische Erziehung“. Diese Gesellschaft bildet dann das Fundament auf dem mit den „Outward Bound Schulen“ Hahns Ideen der Erlebnistherapie nunmehr als pädagogische Methoden in Form der Erlebnispädagogik in die Welt getragen werden.
Abschließend können wir feststellen, dass die Erlebnispädagogik als handlungsorientierte Methode heute in sehr vielen pädagogischen Bereichen Einzug gefunden hat. Die Geschichte der Erlebnispädagogik zeigt dabei eindrucksvoll, dass diese Methode keine moderne Modeerscheinung in der Pädagogik ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein pädagogisches Konzept, dass sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat und uns Pädagogen die Möglichkeit bietet, wichtige pädagogische Ziele mit unseren Teilnehmern äußerst erfolgreich zu bearbeiten.
Autorenangabe: Hardy Lux
Diplomsozialwissenschaftler und Erlebnispädagoge, hardylux@gmx.de
Literaturnachweis
Dewey J.: Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Weinheim/Basel 1993
Rousseau J. J.: Emil oder über die Erziehung. 3. Aufl. Paderborn 1975
Heckmair B., Michel W.: Erleben und Lernen – Einstieg in die Erlebnispädagogik. Neurid; Kriftel; Berlin 1998