1. Arbeitsauftrag
Aus der Fachliteratur der Jugendhilfe sind unterschiedliche Verfahren bekannt, mit denen Gefährdungssituationen systematisch erfasst werden können. Einzelne Verfahren werden im Land Brandenburg bereits angewandt. Es erscheint sinnvoll, diese unterschiedlichen Strategien zusammenzustellen und den Jugendämtern zur Verbesserung ihrer Handlungssicherheit in der Arbeit mit Problemfamilien an die Hand zu geben, verbunden mit der Empfehlung, sich für eines dieser Verfahren zu entscheiden und die Anwendung durch die Fachkräfte sicherzustellen.
Der Arbeitsauftrag der Landesregierung wurde dahingehend präzisiert, sich insbesondere auf die Indikatorenbildung zur Risikoabschätzung zu beziehen.
2. Vorgehen
Neben einer bundesweiten Recherche zu Verfahren und Instrumenten zur Risikoabschätzung wurde eine Debatte mit ASD-Leiter/innen des Landes zur weiteren Qualifizierung des Leitfadens zur Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung geführt. Dieser Prozess zeigte deutlich, dass ein vordergründiges Interesse an der Bildung von Indikatoren zur Risikoabschätzung besteht.
3. Überblick zu Verfahren und Instrumenten
Zunächst wurde eine bundesweite Recherche durchgeführt, um einen Überblick über die in der Praxis der Jugendämter verwendeten Verfahren bzw. entsprechende landes- und bundesweite Empfehlungen[6] zu erhalten. Die Ergebnisse sind im Folgenden kurz darzustellen.
Bei der bundesweiten Recherche zu Verfahren und Instrumenten zur Risikoabschätzung konnten Feststellungen getroffen werden, die sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der strukturellen Ebene zu verorten sind.
So wurde deutlich, dass die verschiedenen Verfahren auf der kommunalen Ebene (Jugendämter) im Sinne von Dienst- bzw. Arbeitsanweisungen und auf überörtlicher Ebene landesweit tätige Institutionen bzw. Gremien sowie bundesweit tätige Fachinstitutionen) als Empfehlungen verfasst sind.
Inhaltlich beziehen sich die untersuchten überörtlich verfassten Verfahrensempfehlungen alle auf der Grundlage von Leitlinien zum Kinderschutz auf unterschiedliche Aspekte im Sinne von Schwerpunktsetzungen. (…) festzustellen, dass die verschiedenen Verfahren auf örtlicher Ebene inhaltlich durchaus und nicht unerheblich voneinander abweichen (…und…) Risikoindikatoren in den verschiedenen Verfahren, Instrumenten und Empfehlungen verankert (sind) und individuelle Ausprägungen im Sinne von Fokussierungen erfahren.
… (Tabellen bitte bei der Redaktion abrufen)
Deutlich wurde jedoch auch bei der Betrachtung, dass es unbedingt erforderlich ist, die konkreten Instrumente zur Umsetzung des Verfahrens der Risikoabschätzung vor Ort, unter örtlichen Rahmenbedingungen und mit einem spezifischen kommunalpolitischen bzw. fachpolitischen Mandat mit den handelnden Fachkräften öffentlicher, freier und privater Träger gemeinsam zu erarbeiten und mit anderen kinderschutzrelevanten Bereichen abzustimmen.
4. Risikoindikatoren – Kernstück des Verfahrens der Risikoabschätzung
4.1. Anforderungen an ein indikatorengestütztes Verfahren der Risikoabschätzung
4.1.1. gesetzliche Anforderungen an die Indikatorenbildung
Das Verfahren zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben aus § 8a SGB VII in Bezug auf die „Gefährdungsindikation“ bzw. im Umgang mit dieser gekennzeichnet durch:
- die verbindliche Erfassung aller gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen,
- das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte zur Abschätzung der „Gefährdungsindikation“,
- ggf. die Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft durch freie bzw. private Träger der Jugendhilfe zur Bewertung (Abschätzung) der „Gefährdungsindikation“,
- die im Einzelfall zu beschreibende andauernde „Gefährdungsindikation“ trotz bzw. bei Hilfegewährung.
Demzufolge sind die Begriffe des Anhaltspunktes und der Gefährdung im Sinne unbestimmter Rechtsbegriffe „definierend“ bzw. „indikativ“ auszugestalten sowie entsprechende Verfahren, Methoden und Arbeitsmittel vorzuhalten. Auf deren Grundlage kann eine Gefährdungssituation bzw. deren Fortbestehen trotz Hilfe als solche prozesshaft in ihrer vielfältigen Wirkung im Einzelfall umfassender erkannt und näher im Sinne von handlungsleitend bestimmt werden sowie im Verlauf deren Abwendung diese letztendlich auch wieder ausgeschlossen werden.
4.1.2. Empfehlungen zu fachlichen Standards für die Indikatorenbildung
In Bezug auf die bewerteten Verfahren und in Ableitung aus denen im Land Brandenburg begleiteten Prozessen können verschiedene fachliche Standards empfohlen werden, die eine qualifizierte Risikoabschätzung möglich machen.
Diesbezüglich können folgende fachliche Leitsätze bzw. Anforderungen im Sinne von Standards in den Kontext von Risikofaktoren gestellt werden. Um bestimmten rechtlichen und fachlichen Anforderungen der Risikoabschätzung gerecht werden zu können ist es grundsätzlich erforderlich, verbindliche Indikatoren zu bestimmten, die es neben der unmittelbaren Risikoabschätzung ermöglichen, die Fälle im Prozess dahin gehend zu bewerten, ob einmal „diagnostizierte“ Risiken abgewendet bzw. sich neue ergeben haben. So sollen sich Indikatoren beziehen auf ein Risikoabschätzungsverfahren das sich orientiert:
- an einem an den Grundbedürfnissen[17] von jungen Menschen ausgerichteten und indikatorengestützten Verfahren,
- am Alter der betroffenen jungen Menschen,
- an den unmittelbaren familiären Verhältnissen,
- am Umfeld des jungen Menschen und seiner Familie,
- an einem strukturell verbindlichen, mehrstufigen und prozessorientierten Verfahren,
- an einem kommunikativen und kompromissorientierten Verfahren im eigenen System bzw. an der Schnittstelle zu anderen Bereichen von Hilfe bzw. Schutz,
- an einem im Arbeitsalltag des ASD belastbaren Verfahren,
- an der Möglichkeit zur Reflexion, Bewertung und Kontrolle in Bezug auf Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Einzelfalls und fallübergreifende Evaluation.
Dies bedeutet zunächst grundsätzlich, dass sich Indikatoren zur Risikoabschätzung wesentlich orientieren müssen an Grundbedürfnissen von jungen Menschen[18]/[19] und damit inhaltlich auf eine Einschätzung zu einer verlässlichen Grundversorgung insbesondere von Babys und Kleinkinder abzielen. Dazu zählen:
- eine altersangemessene Ernährung,
- ausreichende Möglichkeit des Schlafes,
- angemessene Körperpflege,
- witterungsentsprechende Kleidung,
- verlässlicher Gefahrenschutz,
- sichere Betreuung und Aufsicht,
- die Gewährleistung einer gesundheitlichen Grundversorgung,
- die Sicherung notwendiger Anregungen bzw. Spielmöglichkeiten,
- die Gewährleistung sachgemäßer Behandlung von Entwicklungs-auffälligkeiten,
- stabile Bezugspersonen und deren emotionale Zuwendung.
Einen bedeutenden Aspekt bei der Risikoabschätzung spielt das Alter[20] der betroffenen jungen Menschen. Diesbezüglich muss deutlich gemacht werden, dass das Risiko der unmittelbaren Folgen einer Kindeswohlgefährdung mit abnehmendem Alter deutlich höher zu bewerten ist, da Babys und Kleinkinder von sich aus nicht oder nur unzureichend in der Lage sind, für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse selbst zu sorgen bzw. sich selbst schützend aktiv zu werden. In besonderer Weise trifft dies zu für die Altergruppe der bis zu Einjährigen, die in der Regel keine Kindereinrichtungen oder Angebote der Tagesbetreuung besuchen.
In Bezug auf die unmittelbaren familiären Verhältnisse und das Umfeld des jungen Menschen und seiner Familie[21] zeichnen sich bedeutsame Risikobereiche ab, die in den Kontext kindeswohlgefährdender Situationen im Rahmen der Risikoabschätzung unbedingt und möglichst umfassend in den Blick zu nehmen sind. Dabei ist wichtig, dass die nachfolgenden indikativen Bereiche sowohl als Risiko als auch als Ressource im Prozess der Risikoabschätzung einfließen. Zu diesen Risiken sind im Sinne der Indikatorenbildung u. a. folgende Aspekte zu zählen:
- die ökonomische Situation,
- · die sozialintegrative Situation,
- · die häusliche Gesamtsituation insbesondere die räumlichen Verhältnisse,
- · die innerfamiliäre Beziehungssituation und Kommunikation,
- · die gesundheitliche Situation der Erziehungs- bzw. Betreuungssituation.
Für die Risikoabschätzung sind Indikatoren erforderlich, die es ermöglichen, den Prozess von der Informationsaufnahme bis zur Abwendung der Gefährdung abzubilden. Hierzu ist ein strukturell verbindliches, mehrstufiges und prozessorientiertes Verfahren[22] erforderlich, dass durch entsprechende Arbeitsmaterialien[23] unterstützt wird. Ein solcher mehrstufiger Prozess beinhaltet:
· die strukturierte Informationsaufnahme[24] bis hin zur fallzuständigen Fachkraft im Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes, die durch ein möglichst gleiches System der Informationsaufnahme (Struktur über Meldebogen) und Informationsermittlung (Checkliste, Gesprächsleitfaden über Meldebogen) unabhängig von der aufnehmenden bzw. weiterbearbeitenden Stelle erfolgen sollte,
- eine erste Risikoabschätzung der zuständigen Fachkraft des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes,
- eine zweite Risikoabschätzung im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte,
- eine dritte Risikoabschätzung unter Beteiligung der Personensorgeberechtigten und der betroffenen jungen Menschen,
- eine ggf. vierte Risikoabschätzung unter Hinziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft,
- eine ggf. wiederholte fünfte (und weitere Risikoabschätzung) im Prozess der Abwendung der Kindeswohlgefährdung,
- eine abschließende Risikoabschätzung mit dem Ergebnis der Abwendung der Kindeswohlgefährdung ggf. im Zuge der „Überleitung“ in ein geeignetes und notwendiges Hilfsangebot.
Indikatoren geben grundsätzlich Struktur und Orientierung im Prozess der Informationsaufnahme (Meldung) und -verarbeitung (Risikoabschätzung). Im Zuge der Risikoabschätzung stehen Übermittlungs- (Meldung), Dokumentations- (Aktenführung), Verständigungs- und Aushandlungsprozesses (Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte, Hinzuziehung einer insoweit erfahrenen Fachkraft). An diesen Schnittstellen finden immer auch Brechungen, Interpretationen und Umdeutungen von Tatsachen statt, an deren Ende die fallzuständige Fachkraft des Allgemeinen Sozialen Dienstes eine Entscheidung bezüglich der Risikoabschätzung zu treffen hat. Sowohl rechtlich als auch fachlich ist sicher zu stellen, dass dieser Prozess als kommunikatives und kompromissorientiertes Verfahren[25] im eigenen System bzw. an der Schnittstelle zu anderen Bereichen von Hilfe bzw. Schutz zu einer an hand von verbindlichen Indikatoren nachvollziehbaren und begründeten Entscheidung führt.
Das System der Indikatoren muss von der Struktur her, mit Blick auf die Menge der Einzelindikatoren und deren „Verarbeitung“ und dem prozessorientierten Charakter (Mehrfachabschätzungen) entsprechend im beruflichen Alltag des Allgemeinen Sozialen Dienstes ein ausnahmslos belastbares Verfahren[26] ermöglichen.
Die Indikatoren müssen neben der eigentlichen Funktion zur Risikoabschätzung auch ein reflexives, bewertendes und kontrollierbares Verfahren[27] in Bezug auf Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Einzelfalls und eine fallübergreifende Evaluation erlauben.
5. Anhang
…
Beispielhafte Indikatoren zur Kindeswohlgefährdung[29]
Grundversorgung und Schutz des Kindes (Indikatoren)
Altersangemessene Ernährungssituation
zu geringe Gewichtszunahme beim Säugling, überalterte oder verdorbene Nahrung, nicht altersgemäße Nahrung, zu wenig Nahrung, mangelnder Vorrat an Nahrung, unsaubere Nahrung, mangelnde Hygiene des Ess- und Kochgeschirrs, keine Abwechslung bei der Nahrung, unregelmäßiges und nicht zuverlässiges Essen und Trinken, Zeichen von Über- und Fehlernährung, u. a. m.
Angemessene Schlafmöglichkeiten
Kein eigener Schlafplatz, beengter Schlafplatz, fehlendes Bett, fehlende Matratze, nasser muffiger Schlafplatz, ungeregelter Tag-Nacht-Rhythmus, fehlende Decken zum Schutz vor Kälte, fehlende Abschirmung des Schlafplatzes (z. B. in Einraumwohnungen), u. a. m.
Ausreichende Körperpflege
unregelmäßiges oder zu seltenes Wickeln, langes Belassen in durchnässten und eingekoteten Windeln, unregelmäßiges oder sehr seltenes Waschen und Baden, Schmutz- und Kotreste auf der Haut des Kindes, fehlende Zahnhygiene, erkrankte oder verdorbene Milchzähne, unbehandelte entzündete Hautoberflächen, u. a. m.
Witterungsangemessene Kleidung
mangelnder Schutz vor Hitze oder Kälte, Sonne oder Nässe, witterungsunangemessene Kleidung mit der Folge des übermäßigen Schwitzens oder Frierens, zu enge Kleidung, zu kleine Schuhe, u. a. m.
Sicherstellung des Schutzes vor Gefahren
Nichtbeseitigung von Gefahren im Haushalt (defekte Stromkabel oder Steckdosen, Zugänglichkeit des Kindes zu Medikamenten/Alkohol, nicht gesichertes Herumliegen von „Spritzbesteck“), aktive körperliche Bedrohung des Kindes durch Erwachsene oder andere Kinder, Zeichen von Verletzungen (Hämatome, Striemen, Narben, Knochenbrüche, Verbrennungen), fehlender Schutz der Intimsphäre des Kindes (Schutz vor sexueller Ausbeutung), u. a. m.
Gesicherte Betreuung und Aufsicht
Ohne altersentsprechende Aufsicht lassen (z. B. auf dem Wickeltisch, in der Badewanne, beim Spiel im Freien), Überlassung der Aufsicht an fremde Personen, Kleinkind allein in der Wohnung lassen, Kinder nachts (ohne Ansprechpartner) allein lassen, u. a. m.
Sicherung von gesundheitlicher Vor- und Fürsorge
Nicht-Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen (U1 – U8), Nicht-Erkennen und Nicht-Behandeln von Krankheiten, Verweigerung von Krankheitsbehandlung, Fehlen einer hausärztlichen Anlaufstelle, unbehandelte chronische Krankheiten, häufige Krankenhausaufenthalte aus Unfällen, fehlende Sicherung der Zahngesundheit (faulende Zähne), u. a. m.
Anregung/Spielmöglichkeiten des Kindes
Karge und nicht ausgestattete (Spiel)Räume für das Kind, Fehlen von Spielzeug, Fernsehen als einziges Angebot, keine altersgemäße motorische und sensumotorische Entwicklung, Sprachstörungen, u. a. m.
Sachgemäße Behandlung von Entwicklungsstörungen
Nicht-Erkennen und Nicht-Behandeln von Entwicklungsverzögerungen und Behinderungen, u. a. m.
Emotionale Zuwendung durch Bezugsperson/en
Keine oder grobe Ansprache des Kindes, häufige körperliche und verbale Züchtigung des Kindes (Drohen, Erniedrigen, Schütteln, Schlagen), Herabsetzender Umgang mit dem Kind, Verweigerung von Trost und Schutz, Verweigerung von Körperkontakt, Verweigerung von Zuneigung und Zärtlichkeit, ständig wechselnde Bezugspersonen, häufiges Überlassen unterschiedlichster Betreuungspersonen, Jaktationen (Schaukelbewegungen) des Kindes, Einnässen/Einkoten älterer Kinder, u. a. m.
Gewährung altersangemessener Freiräume
Einsperren, Kontaktverbot zu Gleichaltrigen (z. B. aus dem Kindergarten), keine altersentsprechenden Freunde/Freundinnen, Klammerung und Überbehütung, Überforderung durch zu große Verantwortungsbelastung, u. a. m.
Sonstiges, eigene Einträge
A 3 Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung[30]
Die nachfolgend aufgeführten Anhaltspunkte sind keine abschließende Auflistung, sie erfassen nicht alle denkbaren Gefährdungssituationen.
Äußere Erscheinung des Kindes
- Massive oder wiederholte Zeichen von Verletzungen (z. B. Blutergüsse, Striemen, Narben, Knochenbrüche, Verbrennungen) ohne erklärbar unverfängliche Ursache bzw. häufige Krankenhausaufenthalte aufgrund von angeblichen Unfällen
- Starke Unterernährung
- Fehlen jeder Körperhygiene (z. B. Schmutz- und Kotreste auf der Haut des Kindes / faulende Zähne)
- Mehrfach völlig witterungsunangemessene oder völlig verschmutzte Bekleidung
Verhalten des Kindes
- Wiederholte oder schwere gewalttätige und/oder sexuelle Übergriffe gegen andere Personen
- Kind wirkt berauscht und/oder benommen bzw. im Steuern seiner Handlungen unkoordiniert (Einfluss von Drogen, Alkohol, Medikamenten)
- Wiederholtes apathisches oder stark verängstigtes Verhalten des Kindes
- Äußerungen des Kindes, die auf Misshandlung, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung hinweisen
- Kind hält sich wiederholt zu altersunangemessenen Zeiten ohne Erziehungsperson in der Öffentlichkeit auf (z. B. nachts allein auf dem Spielplatz)
- Kind hält sich an jugendgefährdenden Orten auf (z. B. Stricherszene, Lokale aus der Prostitutionsszene, Spielhalle, Nachtclub)
- Offensichtlich schulpflichtige Kinder bleiben ständig oder häufig der Schule fern
- Kind begeht gehäuft Straftaten
Verhalten der Erziehungspersonen der häuslichen Gemeinschaft
- Wiederholte oder schwere Gewalt zwischen den Erziehungspersonen
- Nicht ausreichende oder völlig unzuverlässige Bereitstellung von Nahrung
- Massive oder häufige körperliche Gewalt gegenüber dem Kind (z. B. Schütteln, Schlagen, Einsperren)
- Häufiges massives Beschimpfen, Ängstigen oder Erniedrigen des Kindes
- Gewährung des unbeschränkten Zugangs zu gewaltverherrlichenden oder pornographischen Medien
- Verweigerung der Krankheitsbehandlung oder der Förderung behinderter Kinder
- Isolierung des Kindes (z. B. Kontaktverbot zu Gleichaltrigen)
Familiäre Situation
- Obdachlosigkeit (Familie bzw. Kind lebt auf der Straße)
- Kleinkind wird häufig oder über einen langen Zeitraum unbeaufsichtigt oder in Obhut offenkundig ungeeigneter Personen gelassen
- Kind wird zur Begehung von Straftaten oder sonst verwerflichen Taten eingesetzt (z. B. Diebstahl, Bettelei)
Persönliche Situation der Erziehungspersonen der häuslichen Gemeinschaft
- Stark verwirrtes Erscheinungsbild (führt Selbstgespräche, reagiert nicht auf Ansprache)
- Häufige berauschte und/oder benommene bzw. eingeschränkt steuerungsfähige Erscheinung, die auf massiven, verfestigten Drogen-, Alkohol- bzw. Medikamentenmissbrauch hindeutet
Wohnsituation
- Wohnung ist stark vermüllt, völlig verdreckt oder weist Spuren äußerer Gewaltanwendung auf (z. B. stark beschädigte Türen)
- Nichtbeseitigung von erhebliche Gefahren im Haushalt (z. B. durch defekte Stromkabel oder Steckdosen, Herumliegen von „Spritzbesteck“)
- Das Fehlen von eigenem Schlafplatz bzw. von jeglichem Spielzeug des Kindes
Oranienburg, November 2007
[1] Drei Dimensionen für „Verhaltensstile“ (Emotionale Erregbarkeit, fehlende Willenskontrolle, aktiv extravertiertes Temperament), vier Dimensionen für „Motive“ (aggressives Bedürfnis nach Ich-Durchsetzung, schulischer Ehrgeiz, Neigung zu Erwachsenenabhängigkeit, Bedürfnis nach sozialer Zurückgezogenheit) und drei Dimensionen für „Selbstbildaspekte“ (Selbsterleben von allgemeiner Angst, Selbsterleben von Unterlegenheit gegenüber anderen, Selbstüberzeugung gegenüber eigenen Meinungen, Entscheidungen und Planungen) (Hansen 1994, S. 139, S. 253)
[2] Vgl. Cömert, Canan: Ziele und Konzepte für die bildungsbezogene Aktivierung von Eltern. Berlin 2007
[3] Vgl. zum Beispiel Fleischer / Hettgen: Mit dem Rucksack Brücken bauen… In: Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.): Jugendhilfe aktuell 3/2006
[4] Vgl. genauer Sozial.Extra 4/2005, S. 21
[5] FuN ist ein Programm, das vom Landesinstitut für Qualifizierung in Hagen / NRW in Zusammenarbeit mit dem Institut für präventive Pädagogik (praepaed) in Detmold / NRW entwickelt und erprobt wurde. Es findet zur Zeit u.a. an 100 Standorten in Nordrhein-Westfalen statt. Erste Qualifizierungen wurden auch in Berlin für den Kita-Bereich im Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg in Glienicke durchgeführt. Orientierung bietet der Aufsatz „FuN – der Name ist Programm – Familien lernen mit Spaß“ von Brixius / Koerner / Piltmann, erschienen in Sigrid Tschoepe-Scheffler: Konzepte der Elternbildung – Eine kritische Übersicht. Opladen 2005
[6] Ein Überblick über die einzelnen Verfahren bzw. Empfehlungen befindet sich im Anhang A 1.
[7] vgl. insbesondere Anhang A 1.1 Ausgewählte Instrumente bei der Risikoabschätzung
[8] Landesjugendhilfeausschuss Thüringen. Leitlinien Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. 2006, 15 Seiten.
[9] Arbeitsgruppe der ASD-Leiter/innen des Landes Brandenburg. Leitfaden zur Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung. 2006, 120 Seiten. unter: www.fachstelle-kinderschutz.de
[10] Bayerisches Landesjugendamt. Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII. 2006, 18 S. unter: www.blja.bayern.de/Textoffice/FachlicheEmpfehlungen/Empfehlungen%20zur%20Umsetzung%20des%20Schutzauftrags%20nach%20%C2%A7%208a%20SGB%20VIII.pdf
[11] Landkreistag Saarland. Gefährdung des Kindeswohls – Krisenintervention. Empfehlungen fachlicher Standards in saarländischen Jugendämtern. 2003, 50 Seite.
[16] vgl. dazu auch die differenzierten Bewertungen in Anhang A 1.2 Darstellung von Verfahren und Empfehlungen auf kommunaler, landes- und bundesweiter Ebene (Auswahl)
[17] vgl. u. a. Maslowsche Bedürfnispyramide: 1. Ebene: Grundbedürfnissen nach Wasser, Luft, Nahrung, Unterkunft und Schlaf, 2. Ebene: Sicherheitsbedürfnisse im Sinne materieller, beruflicher und Lebenssicherheit, 3. Ebene: sozialen Bedürfnisse in Form von Liebe, Freundschaft und Gruppenzugehörigkeit, 4. Ebene: Ich-Bedürfnisse als Annerkennung, Geltung und Selbstachtung, 5. Ebene: Selbstverwirklichungsbedürfnisse, die in der Individualität, Güte, Gerechtigkeit und Selbstlosigkeit ihren Ausdruck finden.
[18] Diese Indikatoren sind beispielhaft in den Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der Garantenstellung des Jugendamtes bei Kindeswohlgefährdung“ der Freien und Hansestadt Hamburg ausgearbeitet (vgl. Anhang A 2).
[19] vgl. insbesondere schwerpunktmäßig das Diagnoseinstrument „Stuttgarter Kinderschutzbogen“
[20] vgl. insbesondere schwerpunktmäßig „Sozialpädagogische Diagnosetabellen“ Landesjugendamt Bayern
[21] vgl. insbesondere schwerpunktmäßig „Kindeswohlgefährdung im ASD“ DJI-Projekt
[22] vgl. insbesondere schwerpunktmäßig „Glinder Manual zur Kindesvernachlässigung“
[23] Verweis insbesondere auf die umfangreiche Zusammenstellung von Melde-, Prüf- und Einschätzungsbögen in der Dokumentation des DJI-Projekt „Kindeswohlgefährdung und ASD“
[24] Die Informationsaufnahme ist in besonderer Weise zu fokussieren auf entscheidende Anhaltspunkte. Diese sind in geeigneter Weise in der Dienstanweisung Schutz bei Kindeswohlgefährdung in der Fassung vom 01. Oktober 2005 des Landesbetriebes Erziehung und Berufsbildung der Stadt Hamburg gefasst (vgl. DA Seite 3 und 4 im Anhang A 3).
[25] Diesbezüglich sei auf die Fortschreibung verschiedener Materialen verwiesen, die in der Regel in diesem Prozess eine „Verdichtung“ erfahren (Stuttgarter Kinderschutzbogen, Verfahren der Stadt Brandenburg a.d.H.)
[26] vgl. insbesondere schwerpunktmäßig „Stuttgarter Kinderschutzbogen“ und „Empfehlungen des Deutschen Städtetages zur Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung“
[27] vgl. insbesondere schwerpunktmäßig das Diagnoseinstrument „Qualitätssicherung in der Bezirkssozialarbeit München bei Gefährdung“
[28] aus: ISA e. V. Münster. Der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung – Arbeitshilfe zur Kooperation zwischen Jugendamt und Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe. Münster 2006, S. 35 – 37
[29] in: Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der Garantenstellung des Jugendamtes bei Kindeswohlgefährdung der Freien und Hansestadt Hamburg
[30] in: Dienstanweisung Schutz bei Kindeswohlgefährdung in der Fassung vom 01. Oktober 2005 des Landesbetriebes Erziehung und Berufsbildung der Stadt Hamburg gefasst (Seite 3 und 4)