Anmerkungen zur Supervision in Trägern der Hilfen zur Erziehung
Supervision ist ein unverzichtbarer Bestandteil der professionellen Arbeit mit Menschen geworden, in den Hilfen zur Erziehung zwar knapp bemessen, aber immerhin als Standard verankert. Team- und Fallsupervision sind wesentliche Elemente der Qualitätssicherung- und auch für die Gesundheitsvorsorge der MitarbeiterInnen ist regelmäßige Supervision wichtig.
In den systemisch ausgerichteten Hilfen, in denen es durch Anknüpfung an vorhandenen Potentialen um die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten der KlientInnen geht, kommt einer systemisch ausgerichteten Supervision zudem eine erweiterte Bedeutung zu: die Identität der Ansätze zielt auf eine Veränderung der klassischen Rollen und Haltungen ab -weg von „Helfer und Hilfeempfänger“ hin zur Moderation von Entwicklungsprozessen.
Hier geht es aber um die Frage, ob die Möglichkeiten von Supervision und Beratung in den Organisationen der Jugendhilfe bereits ausgereizt sind oder ob bzw. wo Verbesserungspotentiale liegen können.
1. Supervision entlastet – und muss entlastet werden
Arbeit im Bereich der Hilfen zur Erziehung bedeutet in der Regel den Umgang mit Menschen in besonderen, oft schwierigen Lebenssituationen – sei es bei der Arbeit mit Familien, Jugendlichen oder Kindern. In der Regel beinhaltet der Auftrag Verhaltensänderungen, die beim Klienten/ der Klientin erreicht werden sollen- egal ob es sich um Eltern, Kinder oder Jugendliche handelt.
Dabei greifen die erteilten Aufträge oft zu kurz, zielen ab auf eine Beseitigung der störenden Symptome, ohne sich mit genügender Sorgfalt mit Ursachen im System auseinandersetzen zu können. Arbeitsbelastung in den Jugendämtern, knappe Ressourcen, aber auch Schwächen in der Umsetzung des gewählten Ansatzes der Sozialraumorientierung (Vom Wunsch zum Ziel in 60 Minuten?) führen dazu, dass eine stimmige und ernst gemeinte Verabredung über die Zielsetzungen, die erreicht werden sollen, nicht stattfindet.
So kommt es immer wieder zu Aufträgen, die nicht erfüllbar sind, weil sie nicht ernsthaft vereinbart werden konnten. Schuldzuweisungen gegenüber den KlientInnen (unkooperativ, nicht genügend Ressourcen) oder den Fachkräften (war nicht die richtige Person, keinen Zugang gefunden…) oder zumindest das Empfinden von Unzulänglichkeit sind bekannte Phänomene im Alltag der Jugendhilfe.
Dieses Erleben auch angesichts eines nicht nachlassenden Zustroms von immer neuen KlientInnen stellt auf Dauer eine erhebliche Belastung im Beruf dar, die gerade bei engagierten MitarbeiterInnen zu gesundheitlichen – körperlichen wie psychischen – Beeinträchtigungen führen kann.
Supervision hat sich in Sozial- und Gesundheitsberufen als Gegengewicht zu diesen Belastungen etabliert und gilt dort, wo sie von den MitarbeiterInnen eingefordert wird (und nicht von oben zwangverordnet ist), als ein schützenswertes Biotop in einer von immer neuen Anforderungen und Belastungen geprägten beruflichen Umwelt.
So wichtig der Erhalt der Supervision in dieser Hinsicht ist, so sehr werden durch die beschriebene Entlastungsfunktion Möglichkeiten für die Weiterentwicklung in der Organisation des Leistungsangebots mit Hilfe der Supervision blockiert.
Die Entwicklung von Hilfeansätzen, die fachliche Erfolgserlebnisse ermöglichen, und der Einsatz für entsprechende Rahmenbedingungen sind Herausforderungen für Träger und Fachpolitik. JaKuS engagiert sich deshalb u.a. für Familienräte und den Triangel-Ansatz.
Fazit 1: Die Supervision muss von ihrer Entlastungsfunktion entlastet werden!
2. Ein definiertes Leitungsverständnis ist Voraussetzung für effektive Supervision
In meiner eigenen beruflichen Sozialisation als Jugendwohngemeinschaftsberater gehörte die mehr oder weniger offene Ablehnung von hierarchischen Strukturen zum guten Ton. Teile dieser Haltung beeinflussen bis heute die Leitungskräfte selbst wie auch die MitarbeiterInnnen – zumindest die altgedienten. Aber auch in Einrichtungen mit langer Tradition suchen Leitungskräfte oft nach ihrer Rolle zwischen Akquise, Kontrolle, Vorbildfunktion, fachlicher Anleitung und verständnisvoller Begleitung des Alltags.
Die Ausgestaltung der Leitungsrolle ist kein gesellschaftlich definierter oder aufgrund persönlicher Eigenschaften naturgegebener Prozess – zu unterschiedlich sind die Umgangsmöglichkeiten mit den oft widersprüchlichen Anforderungen an die Leitungskräfte.
Zwischen den Extremen „Belegung, Belegung, Belegung“ und „Fachlichkeit bis zur Selbstaufgabe“ liegt eine Spannbreite, die der Träger über seine Leitungskräfte zu definieren hat. Tut er dies nicht oder nur unzureichend, können die MitarbeiterInnen nur Fehler machen.
Gerade in der Familienhilfe und der Arbeit mit Jugendlichen nehmen in Berlin Aufträge zu, die fachlich de fakto unerfüllbar sind, was die Zielsetzung in Relation zum Umfang der Hilfen betrifft: Multi-Problem-Familien im Gefährdungsbereich werden mit 3 Wochenstunden versehen, der Auftrag für Jugendliche kurz vor der Volljährigkeit lautet zunehmend: Wohnung finden und dann schnell weiter zur Arbeitsagentur.
Gleichzeitig die Auslastung des Träger zu sichern und dabei immer wieder die Fachlichkeit zu vertreten, unfachliche Aufträge so zu modifizieren, dass sie erfüllbar werden und letztendlich auch einmal Nein zu sagen, ist eine der zu definierenden Aufgaben der Leitungskräfte. Es bedarf dazu einer abgestimmten Trägerpolitik, die die Fachlichkeit im Blick hat und langfristig das Profil des Trägers sichert. Sie muss kurzfristig aber wirtschaftlich auch vertretbar sein.
Bleibt die Verantwortung für Belegung und Fachlichkeit allein bei den MitarbeiterInnen, sind Unzufriedenheit, Spannungen, Misserfolge und Motivationsverlust zu erwartende Folgen.
Ähnliches gilt für Fragen der Personalführung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Konzeptentwicklung etc.: Klare Haltungen und Vorgaben auf Leitungsebene, die aus Zielsetzungen und Leitbild der jeweiligen Organisation abgeleitet werden, ermöglichen erst auf Teamebene fachliche Beratungsprozesse, die über die Bewältigung des Arbeitsalltags hinausgehen.
Fazit 2: Supervision und Organisationsentwicklung werden dann besonders wirksam, wenn entsprechende Prozesse auf der Leitungsebene stattfinden und transparent gemacht werden.
3. Supervision und Organisationsentwicklung gehören zusammen!
Anbieter sozialer Dienstleistung müssen sich heute permanent mit der Weiterentwicklung des eigenen Profils und ihrer Konzeptionen auseinandersetzen, weil sich regionale Strukturen und Anforderungen verändern, fachlichwissenschaftliche Erkenntnisse aufzugreifen sind, Finanzierungsströme umgeleitet werden und weil sie in Konkurrenz untereinander stehen.
Andererseits erfordert die Gewährleistung von Qualität in den Hilfen zur Erziehung eine hohe Personal- und Beziehungskontinuität, allzu häufige Veränderungen und Anpassungen gefährden schnell die Substanz der Arbeit.
Der Zwiespalt zwischen Kontinuität und Innovation erfordert von den Trägern die Entwicklung einer Kultur, in der die Kommunikation zwischen allen Ebenen – Geschäftsführung, Fachliche Leitung, Verwaltung, PädagogInnen, technischen MitarbeiterInnen – dazu beiträgt, die jeweiligen (Er)Kenntnisse und Wahrnehmungen für notwendige oder beabsichtigte Veränderungen zu nutzten. Erst ein hoher Grad an Kommunikation und Beteiligung sichert ab, dass Veränderungen fachlich und organisatorisch fundiert und von den handelnden Personen akzeptiert und gewollt sind. Auf dieser Basis wird eine Veränderung zu einem höchstwahrscheinlich erfolgreichen Unterfangen.
Für solche Prozesse ist in den vergangenen Jahren ein vielfältiges Instrumentarium für Organisationen und Kommunen entwickelt worden, das auf systemischen Ansätzen und systemtheoretischen Erkenntnissen basiert. Grundlage der Verfahren für Organisationsprozesse wie Open Space, RTSC, Change Management etc. sind Beratungsprozesse innerhalb der Organisationen, die eng verwandt sind mit den Grundannahmen systemischer Supervision:
- Die Zielsetzungen werden von den Auftraggebern definiert
- Das Problem gehört der KlientIn/AuftraggeberIn
- Die Beratung erweitert die Blickwinkel auf Problemlagen
- Lösungen werden von der KlientIn/AuftraggeberIn entwickelt, nicht von BeraterInnen
- Der Prozess stärkt die AuftraggeberInnen, er löst nicht deren Probleme
Wenn es gelingt, Supervision und alle weiteren Beratungsprozesse im Träger so miteinander zu verknüpfen, dass die gegenseitige Wahrnehmung und Information in Entwicklungen einfließen können, leistet Supervision über die Bewältigung des pädagogischen Alltags hinaus einen wichtigen Beitrag zur Zukunftssicherung des Trägers und seiner MitarbeiterInnen.
Konkret können die Schritte so aussehen
a) Verständigung über Zielsetzungen zwischen Leitung/Geschäftsführung und Team und SupervisorIn mit anschließender schriftlicher Beauftragung
b) Verabredeter Austausch über Abweichungen von der Zielsetzung
c) Verabredung über gemeinsame Auswertung des Beratungsprozesses
d) Vertraglich festgelegte Zusammenkunft aller SupervisorInnen und BeraterInnen zum Austausch über Wahrnehmungen im Träger
e) Verständigung mit allen eingesetzten SupervisorInnen zur Entwicklung eines Trägerspezifischen Beratungsansatzes
Fazit 3: Durch die Verknüpfung von Supervision mit Beratungsprozessen im Träger werden die eingesetzten Ressourcen besser genutzt, die Kommunikation wird gestärkt, Entwicklungen verlaufen erfolgreicher
Schlussanmerkungen
Oft können strukturelle Veränderungen – wie hier in Bezug auf Supervision vorgeschlagen – eine gegenteilige Wirkung entfalten, wenn sie für andere Ziele missbraucht werden. Wer MitarbeiterInnen bespitzeln will und dafür eingekaufte BeraterInnen einsetzt, erzielt das Gegenteil von offener Kommunikation und kreativen Prozessen, wer auf Rendite fixiert ist und nur Einsparpotentiale sucht, blockiert von vornherein die fachliche Innovation.
Andererseits bietet die Verknüpfung von Supervision und Organisationsentwicklung für ernsthaft interessierte Träger die Chance, sich neue effektive Wege für Veränderungsprozesse zu erschließen, indem die Supervision zu einem Teil der internen Kommunikation wird.
Dazu sind vielleicht liebgewonnene Haltungen zu überwinden: Supervision wird dann nicht mehr ein geschütztes Biotop in einer sich ständig verschlechternden fachlichen Umwelt sein, und Leitung ist keine Blackbox mehr, die auf unergründliche Weise Ergebnisse produziert.
Es wird realistischer, Ansätze und Systeme zu entwickeln, die den Ausstieg aus der alten Helferrolle hin zu einer Begleitung der Stärkung familiärer (und letztendlich kommunaler) Strukturen nahelegen.
Diese Chance der Supervision für Innovation wird bisher allenfalls in Anfängen umgesetzt.
Frieder Morit, Geschäftsführer JaKuS gGmbH und Supervisor