Plattner, Dr. A.: Psychisch kranke Eltern – Besonderheiten zu Fragen der Erziehungsfähigkeit, zu Umgangsfragen und zum begleiteten Umgang

Dr. Anita Plattner ist Dipl. Psychologin und öffentlich bestellte und beeidigte Sachverständige für Sorge- und Umgangsrechtsfragen

Gibt es immer mehr psychisch kranke Eltern?

Öffentliche und eigene Schätzungen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte aller Kinder in der Jugendhilfe und ca. 10% aller Scheidungskinder einen psychisch kranken oder suchtkranken Elternteil haben.

Die aktuellen Statistiken der Krankenkassen sprechen dafür, dass psychische Krankheiten zunehmen. Hierdurch sind auch die Kinder psychisch kranker Menschen zunehmend in den Blickpunkt der Helfersysteme gerückt (Lenz, 2005; Mattejat & Lisofsky, 2008). Psychische Krankheiten werden teilweise durch psychosoziale Belastungen ausgelöst. Für einige Krankheiten sind auch genetische Risiken gut belegt.

Durch verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen nehmen die Belastungen für Eltern und Familien zu und damit steigt auch das Risiko eine psychische Krankheit zu entwickeln. Unter den gesellschaftlich bedingten Einflüssen sind mehrere Faktoren zu nennen, die sich schwächend auf den Einzelnen auswirken: Wirtschaftliche Schwierigkeiten, (drohende) Arbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Abstieg, steigende Lebenshaltungskosten, Gentrifizierung und Vereinsamung, Herauslösung aus familiären und nachbarschaftlichen Bezügen, hohe Anforderungen an die Flexibilität des Einzelnen. Sicher könnte man die Aufzählung an dieser Stelle fortführen, analysieren und kritisch diskutieren.

Bekannt ist, dass einige psychische Erkrankungen mit einem hohen genetischen Risiko belastet sind, beispielsweise Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis oder die Manisch-Depressive Erkrankung. Wissenschaftliche Untersuchungen, sogenannte „Adoptionsstudien“, zeigen jedoch, dass die Krankheiten nicht vollständig durch Genetik erklärbar sind. Selbst bei eineiigen Zwillingen, die getrennt adoptiert wurden, liegt das Risiko, dass beide Zwillinge an Schizophrenie oder Manie erkranken nur bei ca. 50%.

Diese Überlegungen sind auch an der Stelle von Bedeutung, wo es darum geht, wie Eltern sinnvoll – auch in der Erziehung ihrer Kinder bzw. in den Beziehungen zu ihren Kindern – unterstützt werden können. Neben spezifischen krankheitsbezogenen Unterstützungen der Eltern und Kinder ist immer auch eine soziale Unterstützung notwendig.

Bei meinen folgenden Ausführungen kann der Eindruck entstehen, dass psychische Krankheit sehr schematisch und ohne den oben genannten sozialen Zusammenhang dargestellt wird. Dies ist keinesfalls meine Absicht, sondern im Gegenteil ist die auf mehreren Ebenen – sozial, gesundheitlich und persönlich – unterstützende Arbeit mit den Eltern sowie die Betonung und Würdigung deren Stärken und liebenswürdigen Persönlichkeitsanteile, automatisch Bestandteil meiner Geisteshaltung und alltäglichen Arbeit. Dazu gehört immer auch die kritische Reflexion des Begriffs „psychische Krankheit“ auf der gesellschaftlichen Ebene.

Dennoch ist eine gewissermaßen „schematische“ Einordnung von Klienten mit psychischen Krisen und Krankheiten nützlich, für eine Beurteilung der Erziehungsfähigkeit und für das Finden geeigneter Umgangsmodalitäten. Und gerade auch für das „Ausfindig-machen“ passender Unterstützungsmöglichkeiten für die Eltern und deren Kinder.

Was heißt psychisch krank?

Es gibt eine breite Palette verschiedenster psychischer Krisen und Erkrankungen, die eines gemeinsam haben: Der Betroffene leidet und/oder es leiden die Menschen unter den Auswirkungen der Erkrankung, die mit ihm in Kontakt kommen. Kinder sind deswegen besonders von der psychischen Krankheit ihrer Eltern betroffen, da diese körperlich und emotional von ihren Eltern direkt und je nach Alter – unbedingt – abhängig sind. Die Kinder reagieren jedoch je nach eigenem Temperament und je nach Art der Erkrankung unterschiedlich auf diese Belastung. Im Wesentlichen kann man eher extrovertierte oder verwirrte Reaktionen der Kinder von eher introvertierten unterscheiden, die mit dem „extrovertierten“ oder „introvertierten“ Charakter der elterlichen Erkrankung in Verbindung stehen.

Extrovertierte, verwirrende psychische Krankheiten

Zu den in Bezug auf das Kindeswohl wichtigsten Erkrankungen gehören diejenigen aus dem schizophrenen Formenkreis, vor allem die paranoid-halluzinatorische Schizophrenie. Schizophrenien heilen bei einem Drittel der Betroffenen nach einer einmaligen Erkrankungsphase aus, beim zweiten Drittel kann die Erkrankung durch anhaltende Psychopharmaka-Einnahme mit langsamer Herabdosierung stabilisiert werden und beim letzten Drittel kommt es zu einer dauerhaften Erkrankung.

Abhängig vom Alter des Kindes sind in Bezug auf die Erziehungsfähigkeit des betroffenen Elternteils verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Bei Säuglingen kann eine auch körperliche Kindeswohlgefährdung bestehen, insbesondere, wenn die Wahninhalte des kranken Elternteils dem Kind gegenüber feindlich gefärbt sind und wenn der Elternteil keine Krankheitseinsicht zeigt und sich nicht behandeln lassen möchte. In seltenen Fällen kann es dann bei schizophrenen Eltern zu Kindstötungen kommen.

In weniger brisanten Fällen ist davon auszugehen, dass das Kind mit den Verwirrtheitszuständen des jeweiligen Elternteils konfrontiert ist und im Alltag häufiger eine mangelnde Strukturierung vorhanden ist. Es kann zu einer Vernachlässigung des Kindes kommen.

Lebt das Kind nicht in der Familie und hat das Kind Umgang mit dem Elternteil, so ist meist davon auszugehen, dass eine Begleitung des Umgangs notwendig ist. Auch begleitete Umgangskontakte können für das Kind belastend sein, wenn der Elternteil sich in einer akuten Krankheitsphase befindet.

Keine schwerwiegenden Auswirkungen hat eine Wahnerkrankung, wenn Sie keine dem Kind feindlich gesinnten Wahninhalte aufweist, und die Tagesstruktur gut erhalten ist. Dies ist manchmal bei reinen Wahnerkrankungen der Fall, die ohne Sinnestäuschungen und ohne formale Denkstörungen, also ohne Verwirrtheit im Denken und Sprechen, auftreten. Beispielsweise hatte ich Kontakt mit einer Mutter, die nach dem Tod ihres Ehemannes den Wahn entwickelte, dieser sei immer wieder bei ihr anwesend und dann bestimmte Rituale durchführte. Sie war jedoch gut in der Lage, ihre Tochter zu unterstützen und mit den Helfersystemen zu kooperieren.

Bei manisch-depressiven Eltern kommt es – vor allem bei häufigen manischen Phasen des Elternteils – ebenfalls zu einer Verwirrung der Kinder. Ein manisch Erkrankter kann sich in das Kind nicht einfühlen, sondern hetzt von einer Aktivität zur nächsten und von einem Ort zum Anderen. Die Manie bringt auch eine große Gereiztheit und (verbale) Aggressivität mit sich, so dass die Kinder häufig wüsten Beschimpfungen des Elternteils ausgesetzt sind. Problematisch ist es, dass die Eltern bei Beginn einer manischen Phase oft die verordneten Medikamente absetzen, da sie sich für völlig gesund halten.

Ich habe bei manisch-depressiven und teilweise auch bei schizophrenen Eltern gute Erfahrungen damit gemacht, dass der Elternteil ein wenige Tage altes ärztliches Attest von dem behandelnden Psychiater zum Umgang mitbringt, der kurz bescheinigt, dass der Medikamentenspiegel unbedenklich ist. Dies bietet nicht nur Vorteile für das Kind, sondern stellt auch eine regelmäßige Vorstellung des Elternteils bei seinem Arzt und damit eine ärztliche Unterstützung sicher. Bei schizophrenen Eltern ist dies leider nicht immer möglich, da Misstrauen und Bedrohungsgefühle gerade Teil der Krankheit sind, und eine ärztliche Unterstützung daher nicht immer stattfinden kann.

Introvertierte psychische Krankheiten

Zu den sogenannten „introvertierten“ psychischen Krankheiten gehören die Depressionen, aber auch Suchterkrankungen, soweit sie nicht mit Aggression verbunden sind. Bei schwereren Depressionen ist die „Major Depression“ zu nennen, die meist phasenhaft verläuft sowie die nachgeburtliche Depression, die ebenfalls schwere Beschwerdebilder produzieren kann. Letztere hat jedoch meist eine gute Prognose, wobei bei nachgeburtlichen Psychosen ebenfalls feindselige Wahninhalte dem Kind gegenüber bestehen können (siehe oben). Bei akuten nachgeburtlichen Depressionen mit oder ohne Psychose kann es wichtig sein, das Kind vorübergehend aus der Familie zu nehmen. Depressionen können häufig medikamentös und psychotherapeutisch gut behandelt werden, so dass dann auch die Erziehungsfähigkeit der Eltern wenig oder überhaupt nicht beeinträchtigt sein kann.

In Bezug auf die Erziehungsfähigkeit ist eine Depression jedoch als schwerwiegend beeinträchtigend zu beurteilen, wenn sie bereits im Säuglingsalter des Kindes vorhanden ist. Die Bindung zwischen Mutter und Kind ist dann kaum ausgeprägt. Die starre und traurige Mimik der Mutter verhindert, dass der Säugling Blickkontakte zur Mutter aufnimmt und sich die notwendigen spielerischen und emotional zugewandten Kontakte zwischen Mutter und Kind entwickeln (Papousek et al., 2004). Bezüglich des Blickkontaktes zeigen das sogenannte „Still-Face-Experiment“ und auch klinische Beobachtungen, dass das Baby bei starrem Gesichtsausdruck seiner Bezugsperson zunächst weint und protestiert. Später wendet der Säugling seinen Blick aktiv von der Bezugsperson ab und verfällt längerfristig in Apathie. Dieses Rückzugsverhalten wirkt sich auf die gesamte Entwicklung des Kindes beeinträchtigend aus. Neben der emotionalen Problematik kann es zu Verzögerungen der motorischen und sprachlichen Entwicklung kommen. Ähnlich verläuft die Beziehungsentwicklung zwischen dem Kind und suchtkranken, insbesondere heroinabhängigen Eltern – die ebenfalls eine emotionale und mimische Verflachung zeigen. Die Kinder entwickeln dann selbst eine zurückhaltende Emotionalität, die beim Kind zu einer Entwicklung einer Depression führen kann.

Mangelnder oder fehlender Blickkontakt zwischen Eltern und ihren Kindern ist in jedem Fall ein Warnzeichen, das genauer betrachtet werden muss. Je nach Ausprägung der Symptomatik gilt es im Rahmen der Umgangskontakte, aktivierende Handlungen und emotionalen Austausch zwischen Bezugsperson und Kind anzuregen. Bei schwerer depressiver Symptomatik und sichtbarer Belastung des Kindes sollte über die Frequenz und zeitliche Ausdehnung reflektiert werden.

Exkurs: Parentifizierung

Bei den eher introvertierten psychischen Erkrankungen, auch wenn das Kind bei deren Ausbruch schon älter ist, kommt es bei den Kindern zu einer „Parentifizierung“, d.h. zu einer Rollenumkehr zwischen Kindern und Eltern. Bei einem späteren Krankheitsausbruch kann die Eltern-Kind-Beziehung auch besonders vertraut und warmherzig erscheinen, da das Kind den Elternteil emotional unterstützen möchte und der Elternteil diese Zuwendung besonders braucht und übermäßig betont, wie sehr er das Kind liebt.

Die Kinder übernehmen Aufgaben der Eltern, einmal in emotionaler Hinsicht, indem sie versuchen, die Eltern aufzumuntern. Sie vermeiden es, den Eltern gegenüber Sorgen zu äußern, aus Angst die Eltern zusätzlich zu belasten und „krank zu machen“. In der Organisation des Haushalts übernehmen Kinder viele Aufgaben, z.B. Einkaufen, Saubermachen und Wäsche waschen. Am deutlichsten ist dies oft beim ältesten Kind in der Familie und/oder bei Mädchen zu beobachten. Manchmal ist dies daran erkennbar, dass Kinder in der Schule oder im Hort häufiger fehlen um zu Hause zu helfen. Altersgerechte Sozialbeziehungen bleiben oft unentwickelt, da die Kinder Angst haben, den Elternteil allein zu Hause zu lassen – und aus Scham niemanden zu sich nach Hause einladen.

In der Schule fallen die Kinder dennoch oft positiv auf: Sie sind still und überangepasst und übernehmen gerne Verantwortung – wie eben auch zu Hause – für andere. Bei anderen Kindern sind sie wegen ihrer Hilfsbereitschaft und scheinbaren Belastbarkeit oft beliebt. Manchmal werden sie deswegen zu Klassensprechern gewählt.

An dieser Stelle ist nach meiner Erfahrung das Hilfsangebot für die betroffenen Kinder deutlich unterentwickelt. Die Jugendhilfe beschränkt ihre Zuständigkeit – aus Gründen der Einsparungen, teilweise aber auch aus Gründen eines diesbezüglich lückenhaften Fachwissens – häufig auf Kinder mit augenscheinlichen Verhaltensauffälligkeiten im sozialen Bereich. Ein ADHS-Kind oder ein Kind mit aggressiven Verhaltensauffälligkeiten hat deutlich mehr Chancen im Hilfesystem aufgefangen zu werden. Introvertierte Kinder werden hingegen kaum als hilfsbedürftig wahrgenommen. Dies wiegt umso schwerer, als wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass „Introversion“ ein Risikofaktor für eine gesunde seelische Entwicklung ist. Die Kinder machen vieles mit sich selbst aus und fühlen sich häufig schuldig. Da sie mit niemanden über ihre Probleme sprechen und auch keine eigenen Aggressionen „ablassen“ können, staut sich immer mehr innere Belastung auf. Es kann nicht oft genug betont werden, dass diese Kinder dringend eine psychotherapeutische Unterstützung benötigen. Die Kinder brauchen einen Ort, an dem sie lernen können, innere Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern und das mit der Bezugsperson Erlebte aufzuarbeiten.

Bei schwer ausgeprägten Depressionen und auch bei schweren Suchterkrankungen, die keine ausreichende Erziehungsfähigkeit mehr gewährleisten, kann es angezeigt sein den Umgang zwischen Eltern und Kind zu begleiten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Elternteil es nicht unterdrücken kann, das Ausmaß seiner Belastung dem Kind gegenüber immer wieder zu zeigen, indem er z.B. oft weint und klagt oder das Kind aufgrund der eigenen Belastung häufig kritisiert. Fachpersonal von Kinderheimen begleitet die Kontakte, gerade bei älteren Kindern, oft nur zu Beginn der Unterbringung. Hier wäre es bei anhaltend ungünstiger Eltern-Kind-Interaktion notwendig für das Kindeswohl, beim Familiengericht einen extern begleiteten Umgang anzuregen und zu erwirken.

Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen

Die psychiatrische Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erfordert einen längeren Beobachtungszeitraum und wird daher von den Ärzten und Therapeuten ungern ausgesprochen. Häufiger wird daher von „Persönlichkeitsakzentuierungen“ gesprochen, so dass im Folgenden auch ich diesen Begriff verwenden werde. Persönlichkeitsstörungen und die milder ausprägten -akzentuierungen können als alleinstehende Auffälligkeit auftreten, häufig treten Sie auch zusammen mit einer anderen Persönlichkeitsakzentuierung und/oder einer der oben genannten psychischen Krankheiten auf. In den deutschen Familiengerichten dauern etwa 18% der Scheidungsverfahren länger als 12 Monate (im Mittel 7,1 Monate), so dass eine überdurchschnittliche Konflikthaftigkeit vorliegt. Es ist anzunehmen, dass Persönlichkeitsakzentuierungen, deren Häufigkeit bei ca. 10% liegt, hierbei eine gewisse Rolle spielen, auch wenn hierzu keine Statistiken vorliegen.

Für Fragen der Erziehungsfähigkeit und des Umgangs sind narzisstische und Borderline-, Persönlichkeitsakzentuierungen von größerer Bedeutung. Diese beiden Persönlichkeitsakzentuierungen weisen auf der Beziehungsebene eine ähnliche Dynamik auf, wobei Narzissmus traditionell eher bei Männern und Borderline eher bei Frauen zu finden ist. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden ist, dass der Narzisst seine Wut eher bei anderen ablässt, während der Borderliner zusätzlich auch zu Selbstverletzungen neigt.

Beide Persönlichkeiten zeigen eine erhöhte Kränkbarkeit, sowie eine Tendenz zu übermäßiger Idealisierung oder Abwertung des Gegenübers, z.B. des Partners oder des Kindes.

Zugrunde liegt eine Abspaltung eigener „böser“ Persönlichkeitsanteile. Soweit möglich wird die eigene Person als ausschließlich „gut“ wahrgenommen. Bei Konfrontation mit eigenen „bösen“ Anteilen wird die Person von diesen „überschwemmt“ und reagiert entweder mit extremer Angst, oder extremer Wut (Sendera & Sendera, 2010). Solange der Leidensdruck der Person noch nicht groß genug ist, steht die Wut meist im Vordergrund. Narzissten und Borderliner haben ein übergroßes Bedürfnis nach „unkritischer“ und symbiotischer Zuwendung. Aus diesem Grund gelingt die Beziehung zwischen den betroffenen Eltern und ihren Babys zunächst oft gut. Säuglinge lieben ihre Eltern bedingungslos, sind von diesen abhängig und üben keine Kritik. Mit zunehmender Selbständigkeitsentwicklung des Kindes, spätestens ab der (Vor-)pubertät kommt es zu größeren Konflikten zwischen Eltern und Kindern. Der Elternteil wertet das Kind ab, wenn es abweichende Meinungen oder Verhaltensweisen äußert. Wegen des übergroßen Beziehungsbedürfnisses der betroffenen Eltern kann es dazu kommen, dass die Kinder in der Schule häufig krankgeschrieben werden. Die Eltern wenden in der Kommunikation mit ihrem Kind, aber auch mit anderen Personen „manipulative“ Techniken an, da sie abweichende Meinungen und Verhaltensweisen als bedrohlich – eben „böse“ – erleben, und durch unbewusste Manipulationen und Erpressungen das von ihnen Gewünschte zu erreichen versuchen.

Im Rahmen des begleiteten Umgangs und in Beratungssituationen gestalten sich die Beziehungsebene und die Kommunikation mit diesen Eltern besonders anspruchsvoll. Oft wird der Elternteil zunächst darum bemüht sein, den Professionellen auf seine Seite zu ziehen. Im Verlauf kann diese Tendenz in das Gegenteil umschlagen, so dass Besonderheiten in der Kommunikation mit psychisch kranken Eltern im Allgemeinen sowie mit narzisstischen und Borderline-Eltern im Besonderen im folgenden Abschnitt detaillierter ausgeführt werden.

Kommunikation mit und Beratung von psychisch

kranken Eltern

Häufig kommt es bei psychisch kranken Eltern zu direkten oder indirekten Aggressionen, da ihre Sorgen um die Kinder im Zentrum ihres Lebens stehen. Dies ist einerseits aus empathischer Sicht nachvollziehbar, kann aber auch Ausdruck der Erkrankung sein. Aggressionen und Wut treten umso mehr auf, je weniger die Eltern in soziales Leben eingebunden sind und je weniger Erfolgserlebnisse sie im Alltag haben.

Bedrohungen der ohnehin brüchig erlebten Eltern-Kind-Beziehungen werden bei den Eltern leicht zu „lebensbedrohlich“ eingestuften Gefahren. Die Eltern werden – auch krankheitsbedingt – von Ängsten überschwemmt, welche logische Denkvorgänge und das Abwägen von Für und Wider zumindest vorübergehend hemmen. Aus biologischer Sicht wird dadurch ein Stress-System aktiviert, das den Organismus entweder auf Flucht oder auf Kampf „programmiert“. Bei der Kommunikation und Beratung psychisch kranker Eltern können deeskalierenden Gesprächstechniken bei den Eltern – je nach Art ihrer psychischen Erkrankung – eingesetzt werden (Bärsch & Rohde, 2008).

Folgende Punkte sind daher bei Gesprächen mit psychisch kranken Eltern zu beachten:

  • Sorgfältige inhaltliche und emotionale Vorbereitung auf das Gespräch. Inhaltlich ist es oft nützlich, sich auf einen wichtigsten Punkt oder möglichst wenige Inhalte zu konzentrieren, den ich als Professioneller klären möchte. Am besten diese Punkte zum eigenen Gebrauch vorher schriftlich fixieren. Emotional ist es wichtig, sich vor dem Gespräch zu entspannen und mögliche Vorbehalte gegen den Elternteil – ausgelöst durch Akteninhalte oder durch Informationen von Kollegen – als „nicht-eigene Erfahrungen“ bewusst zu machen. Eigene Erwartungen an das Gespräch sollten reflektiert und möglichst heruntergeschraubt werden. Dies begünstigt eine wertfreie Geisteshaltung, die wesentlich zum Gelingen der Kommunikation beitragen dürfte.
  • Ressourcen und Stärken des Elternteils und des Kindes benennen und das Gespräch damit beginnen. Auch aktuell oder längerfristig nicht ausreichend erziehungsfähige Eltern lieben in fast allen Fällen ihre Kinder. Andere Eltern verhalten sich überstimulierend oder überfürsorglich mit ihrem Baby. Auch hinter diesem Verhalten steckt eine gute Absicht, auch wenn das Ergebnis nicht das erwünschte ist. Das Ansprechen dieser elterlichen Stärken erleichtert erfahrungsgemäß den Einstieg ins Gespräch, und erlaubt es, die Eltern „ins Boot“ zu holen.
  • Problematische Verhaltensweisen benennen, aber nicht bewerten. Hierbei ist es günstiger, erwünschte Verhaltensweisen zu benennen, als sich zu sehr auf die unerwünschten Verhaltensweisen zu konzentrieren. Der Elternteil weiß dann genau, was zu tun ist und kann das unerwünschte Verhalten sinnvoll „ersetzen“. Nennt man lediglich die problematischen Verhaltensweisen, entsteht Abwehr und es kann sein, dass der Elternteil „aussteigt“. Zudem weiß der Betroffene zwar, was er nicht tun soll, jedoch nicht was er tun soll. Am besten ist es sicherlich, gemeinsam mit dem Elternteil eine günstige Problemlösung in Bezug auf die betroffene Situation zu erarbeiten. Hierbei kann der Professionelle Lösungsvorschläge machen.
  • Die Gesundheitsüberzeugung des psychisch kranken Elternteils akzeptieren. Insbesondere bei an schizophrenen bzw. paranoiden Erkrankungen leidenden Eltern können wahnhafte Überzeugungen (z.B. „ich darf kein Leitungswasser trinken, es ist sicher vergiftet“) nicht durch Gegenargumente entkräftet werden. Psychiatrische Diagnosen sollten nur dann angesprochen werden, wenn der Elternteil diesbezüglich reflexionsbereit ist. Vermutungen über Diagnosen sollten nicht geäußert werden und auch nicht ohne Rücksprache mit Ärzten oder Psychologen von Kollegen übernommen werden. Ebenso sollten keine voreiligen Behandlungsratschläge erteilt werden.
  • Kommt es im Verlauf des Gesprächs zu Aggressionen Ihres Gegenübers und werden Sie selbst dadurch emotional aufgewühlt, kann es sinnvoll sein, das Gespräch zu unterbrechen. Verlassen Sie den Raum für ca. fünf Minuten. Kündigen Sie vorher an, dass sie – nach fünf Minuten – wiederkommen werden. Atmen Sie tief durch und entspannen sie sich. Führen Sie dann das Gespräch weiter. Nützt auch das nichts, kann es sinnvoll sein, die Fortsetzung des Gesprächs auf einen anderen Termin zu verlegen.

Eine Sonderstellung in den Gesprächen mit psychisch kranken Eltern nehmen Manipulationen und erpresserisches Verhalten der Eltern ein. Oft sind diese Verhaltensweisen unbewusst, unterschwellig und nicht sofort als solche erkennbar. Das „Bauchgefühl“ meldet sich dann und signalisiert, dass irgendetwas an der Kommunikation nicht in Ordnung ist. Dieses Gefühl zeigt an, dass die persönliche Grenze überschritten worden ist.

Häufig haben manipulative Verhaltensweisen psychisch kranker Eltern zum Ziel, Sie als Professionellen auf deren Seite zu ziehen. Besonders häufig kommen Manipulationen bei Eltern mit narzisstischen oder Borderline-Persönlich-keitsakzentuierungen vor. Die Botschaft lautet bei genauerer Betrachtung z.B. „Ich habe nur zu Ihnen Vertrauen, alle anderen wollen mir nur schaden. Daher können und müssen Sie mir helfen, sonst bin ich verloren und Sie sind schuld“.

Im Folgenden betrachten wir die verschiedenen Ebenen der Kommunikation nach dem Kommunikationsmodell von Schulz von Thun (2011).

  • Sachinhalt der Botschaft: „Ich habe nur Vertrauen zu Ihnen, alle anderen wollen mir schaden“.
  • Appell (Absicht): “Jetzt müssen Sie (sofort) alles für mich tun, das in Ihrer Macht steht.“
  • Beziehungshinweis: „Sonst bin ich verloren und Sie sind schuld.“
  • Selbstoffenbarung (nicht-sprachliche Triebe, Werte, Emotionen): laute Stimme (oder erpresserisches Weinen), Fixieren mit Blicken, aggressive Körperhaltung, Elternteil tritt sehr nahe.

Wie kann ich mich in solchen Situationen als Professioneller für meine Klienten einsetzen und mich gleichzeitig abgrenzen? Zunächst kann es sinnvoll sein, den Elternteil darum zu bitten – oder ihn nachdrücklich darauf hinzuweisen – leiser zu sprechen und einen Schritt zurückzutreten, oder sich zu setzen. Weiter ist zu klären, wie der Arbeitsauftrag des Professionellen lautet, z.B. „Meine Aufgabe ist es, eine Lösung zu finden, die für Sie und Ihren Sohn am besten ist. Ich kann Ihnen nicht versprechen, ob die Lösung so ausfallen wird, wie Sie es wünschen. Ich bin aber dazu bereit, Ihnen zuzuhören. Ich denke, wir brauchen noch etwas Zeit. Als nächstes wäre es wichtig, dass ich mit XY (dem Sohn? Meinen Kollegen?) sprechen kann. Dann rufe ich Sie wieder an.“

Ein wichtiger Grundsatz für die Arbeit mit manipulativen Klienten ist es, sich mit anderen Professionellen und/oder dem Team abzusprechen. Haben die Anderen ähnliche Erfahrungen gemacht? Manchmal kommt es zu „Spaltungen“ des Teams, da Narzisstische oder Borderline-Persönlichkeiten – wie oben ausgeführt – dazu neigen, Personen bedingungslos entweder als „gut“ oder „böse“ wahrzunehmen. Dann ist die Reflexion im Team besonders notwendig und hilfreich um eine wertschätzende, aber auch distanzierte Haltung gegenüber einem Klienten bewahren zu können.

 

Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Artikel wurde ein Überblick über die wichtigsten psychischen Auffälligkeiten und deren Besonderheiten in Bezug auf die Erziehungsfähigkeit der Eltern, in Bezug auf Umgangsfragen und in Bezug auf die Kommunikation mit den Eltern gegeben.

Die hier skizzierten Kommunikationsmuster machen die Arbeit mit den betroffenen Eltern manchmal anstrengend und zäh. Es entsteht die Gefahr, dass wohlwollendes und empathisches Verhalten der Professionellen entweder zu einer verzerrten Sichtweise führt, oder aber, dass aus Gründen der Überforderung eine negative Einstellung gegenüber den Klienten überhandnimmt. Dies vor allem deshalb, da die Kommunikationsstile der betroffenen Eltern oftmals den wundesten Punkt von Menschen in „Helferberufen“ treffen. Wir setzten uns auch deshalb besonders für unsere Klienten ein, da wir selbst das Bedürfnis haben, gemocht und geliebt zu werden. Oft ist dieses Bedürfnis bei Menschen in Helferberufen besonders ausgeprägt (Schmidbauer, 1992). Viele Menschen in Helferberufen haben selbst chronisch psychisch oder körperlich kranke Eltern was dazu führt, dass die Unterstützung anderer ein persönliches Bedürfnis wird.

Besonders prekär wird diese Konstellation, wenn unsere Aufgabe einerseits die Beurteilung der Erziehungsfähigkeit bzw. von Umgangskontakten ist und andererseits die Unterstützung der betroffenen Kinder und deren Eltern. Bei häufigeren Kontakten mit den Eltern, wie es bei langwierigen Begutachtungen, aber auch im Rahmen von zeitlich ausgedehnten Umgangsbegleitungen oder Umgangspflegschaften vorkommt, besteht die Gefahr, Teil des Familiensystems zu werden. Das professionelle und zielführende Handeln kann dann beschädigt werden. Wie bereits skizziert besteht diese Gefahr am deutlichsten bei Klienten, die manipulative Kommunikationsstile einsetzen. Selbsterfahrung, Teamreflexionen und Supervision sind daher immer wieder notwendig. Dies dient der eigenen Psychohygiene ebenso, wie dem Ziel, unseren psychisch kranken Klienten unvoreingenommen und professionell begegnen zu können.

Aus demselben Grund sind Informationen zu den hier skizzierten Themen für die in den Bereichen Jugendhilfe und Familienrecht tätigen Berufsgruppen von großer praktischer Relevanz. Aus inhaltlichen Gründen ist es im Hinblick auf das Kindeswohl notwendig, die Auswirkungen der verschiedenen psychischen Krankheiten auf die Kinder differenziert beurteilen zu können. Dies gilt vor allem für die Reaktionen der „introvertierten“ parentifizierten Kinder, die zu ihren Eltern auf den ersten Blick eine besonders zugewandte Beziehung pflegen und im Stillen leiden, bis deren Widerstandskraft an Grenzen stößt. Eine bestehende Kindeswohlgefährdung bzw. ein Hilfebedarf wird hier gerne einmal übersehen.

Generell kann festgestellt werden, dass begleiteter Umgang in der Praxis der Jugendhilfe üblicherweise zeitlich auf ein halbes Jahr begrenzt wird, jedoch dies nicht immer dem Bedarf psychisch kranker Eltern und deren Kinder entspricht. Je nach Krankheitsbild, Schwere und Verlauf kann eine Begleitung über einen teilweise deutlich längeren Zeitraum erforderlich sein.

 

Literatur

Bärsch, T. & Rohde, M. (2008). Kommunikative Deeskalation. Praxisleitfaden zum Umgang mit aggressiven Personen im privaten und beruflichen Bereich. Books on Demand GmBh, Norderstedt.

Mattejat, F. & Lisofsky, B. (Hrsg.) (2008): Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch kranker Eltern. Bonn: Psychiatrie Verlag

Lenz, A. (2005): Kinder psychisch kranker Eltern. Göttingen: Hogrefe Verlag

Papoušek, M., Schieche, M., Wurmser, H. (Hrsg.) (2004). Regulationsstörungen der frühen Kindheit: Frühe Krisen und Hilfen im Entwicklungskontext der Eltern-Kind-Beziehungen. Bern: Huber Verlag.

Schmidbauer, W. (1992, 18.Aufl.). Hilflose Helfer: Über die seelische Problematik der helfenden Berufe. Rororo.

Schulz von Thun, F. (2011). Miteinander Reden, Band 1-3. Rororo.

Sendera, A. & Senedera, M. (2010). Borderline – die andere Art zu fühlen. Beziehungen verstehen und erleben. Springer WienNewYork.

Sonderauswertung des statistischen Bundesamts zur Familiengerichtsstatistik 2005, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/6308, S.235

 

anita.plattner@sachverständigenring.de

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