Richter, I.: Praktische Beispiele aus der Arbeit in einem Mutter-Vater-Kind Projekt (Kinderhaus Berlin Brandenburg)

“Die Welt ist wunderbar, wenn wir sie mit Kinderaugen anschauen” – „Sinne sind das Fenster zur Welt“

Kinder lernen über (Sinnes-) Wahrnehmung und motorische Handlungen (Bewegung). Häufig bekommen Kinder einseitige Sinneskost, Überangebot an visuellen Reizen. Die kleinen „Forscher und Entdecker“ bleiben oft auf der Strecke. Medienkonsum scheint attraktiver als Naturspaziergänge, farbiges Spielzeug rangiert vor kreativem Experimentieren mit Farbe, Wasser und Sand. Bewegungsmangel lässt Tiefensensibilität und Gleichgewichtssinn verkümmern. Kinder, die nicht klettern, die nicht lernen von Mauern und Vorsprüngen zu hopsen, haben keine Vorstellung von Höhe, von Raum und Gleichgewicht. Wie sollen sie Vertrauen in eigene Fähigkeiten entwickeln, wenn ständig gerufen wird: „Nein! Das darfst du nicht.“

Wir gehen mit den jungen Müttern und Vätern und deren Kindern soviel wie möglich in die Natur, so können sie die Jahreszeiten und Elemente mit allen Sinnen erfahren und wertschätzen. Im Frühling begrüßen wir die Schneeglöckchen, im Sommer sehen wir den roten Mohn leuchten. Im Herbst bestaunen wir, wie die Natur die Farben auf die Blätter zaubert und im Winter bauen wir einen Schneemann oder fahren mit den Schlitten.

 

Daher ist es in unserer Arbeit wichtig, gemeinsam mit den Müttern/Vätern und deren Kindern Ausflüge zu unternehmen und zu verreisen.

  • mal auf einen Reiterhof, mal an die Ostsee
  • alle werden in die Reisevorbereitungen mit einbezogen
  • wir erzählen viel von dem Ort, zu dem wir fahren, schauen uns Bilder, Bücher an – wecken Vorfreude
  • die Kinder kommen so verstärkt mit der Natur in Verbindung und die Mütter und Väter erleben, wieviel Spass so etwas machen kann
  • Steine, Muscheln, Stöcker sammeln
  • Schnecken, Schmetterlinge, Vögel beobachten
  • die Sonne auf der Haut, das Gras unter den Füßen spüren
  • den Duft von Blumen und frischem Heu riechen
  • einen saftigen, selbstgepflückten Apfel schmecken
  • im Wasser planschen
  • Tiere füttern und auch mal anfassen
  • viel Platz zum Bewegen und Rumtoben haben
  • Lachen, Spaß haben, zusammen spielen

Im Alltag nutzen wir unseren kleinen Spielplatz auf dem Kinderhausgelände, dort kann man:

  • rutschen, schaukeln, buddeln
  • im Planschbecken mit Wasser in Berührung kommen
  • Ameisen und Käfer beobachten
  • mit anderen Kindern spielen
  • oder einfach auf der Decke liegen, in den Himmel blicken, die Wolken ziehen sehen

An den Wochenenden

  • spazieren wir gemeinsam durchs Wohngebiet oder mit Proviant, Decken, Bällen und Buddelzeug beladenen Bollerwagen zum Orankesee, wo man wunderbar Enten und Schwäne beobachten und füttern kann
  • die Grünflächen laden zum Picknicken und Spielen ein
  • manchmal machen wir auch einen Ausflug in den Tierpark zudem wir Geschwister, Omas und Opas einladen
  • den Müttern und Vätern kann so vermittelt werden, dass Unternehmungen nicht immer mit finanziellen Mitteln verbunden sein müssen, man nur genau hinschauen muss, um ein „kleines Abenteuer“ zu erleben

 

Windel- / Badesituation

Das Baden der Säuglinge / Kleinkinder stellt immer einen kleinen Höhepunkt für Mutter, Vater und Kind dar. Es soll für alle ein schönes Erlebnis sein. Gerade das erste Mal ist etwas ganz besonderes – es werden víele Fotos gemacht. Beim Baden gibt es anfangs Unterstützung von unserer Hebamme und später, bei Bedarf, von uns Betreuern.

In unserem Projekt haben wir ein großes Bad mit Badewanne, Wickeltisch, Babybadewanne oder Wannensitz. Das Bad ist hell und kindgerecht.

Wichtig ist eine gute Vorbereitung, dazu gehört z.B.:

  • die Fenster zu schließen
  • eine angenehme Raumtemperatur zu schaffen
  • alle benötigten Dinge zurechtzulegen, wie: Badetuch, Wechselsachen, Windeln, Pflegeutensilien
  • das Badewasser im Vorfeld einzulassen
  • die Temperatur mit dem Thermometer zu überprüfen

Eine gute Vorbereitung ermöglicht ein entspanntes Badeerlebnis für Mutter, Vater und Kind.

So kann Hektik vermieden werden, weil eventuell noch Sachen fehlen.

Genau Hinschauen / Beobachten !!

  • Dann sieht man, ob man einen begeisterten Bader hat oder ein Kind, das im Bad vor Angst Schreiattacken bekommt
  • Schreit ein Kind, z.B. beim Hineinlegen in die Wanne, ist dann aber nach ein paar Minuten höchst vergnügt, war vielleicht die Einstiegstemperatur zu warm oder es hat seine Ängste überwunden und fühlt sich nun sicher.

Wenn Hände, die es pflegen, tastend, empfindsam, behutsam, feinfühlig sind, dann entspannt sich das Kind. Es fühlt sich aufgehoben und geliebt. Signale des Kindes müssen wir den Müttern und Vätern oft erklären, damit sie sie verstehen. Die Mehrzahl seiner sozialen Erfahrungen macht ein Saugling während er gefüttert, gebadet, gewickelt, an- oder ausgezogen wird.

Von unserer Seite können wir zur Verdeutlichung bestimmter Situationen, Hilfestellungen geben, in dem wir z.B. anstelle des Babys sprechen (nonverbale Signale in Worte übersetzen – die sozusagen als Baby an die Eltern gerichtet sind).

“Wenn ich dich manchmal nicht angucke, heißt dass, das ich eine Pause brauche.” Oder “Was du gerade mit mir machst, ist ganz schön anstrengend für mich. Und ich benötige unbedingt eine kleine Auszeit.” Wichtig hierbei ist die Sprache! Erklären, was man macht, um so Kontakt zum Kind aufzunehmen und ein Zusammenspiel zwischen Mutter/Vater und Kind zu ermöglichen.

 

Pflege des Kindes ist Kommunikation!

Hier fehlt es unseren Müttern und Vätern oft an der nötigen Kompetenz, dies umzusetzen (selbst nicht erlebt). Sie haben Berührungsängste oder finden es „albern“ mit ihrem Kind zu reden. Oft fällt der Satz – „Es versteht doch sowieso nicht, was ich sage!“ Werden die jungen Mütter und Väter dann aber mit einem Lächeln und Brabbeln belohnt, können sie positive Erfahrungen sammeln und diese immer wieder anwenden.

 

Lernprozesse – „Hilf mir es allein zu tun.“

Kleine Kinder wollen ihre Welt erkunden und untersuchen! Sie können nur das Lernen, was in ihrer Umgebung auch angeboten wird. Einbeziehung der Kinder in den Alltag ist die Beste, weil natürlichste Art, ihre soziale, sprachliche und geistige Entwicklung zu förden. Es gilt den Blick darauf zu richten, was das Kind schon kann und nicht darauf, was es noch nicht kann! Wir verdeutlichen den Müttern und Vätern, das Kinder in ihrer Entwicklung sehr verschieden sind, auch das einzelne Kind oftmals in sich unterschiedlich weit entwickelt ist und sein Tempo selbst bestimmt – d.h. einzelne Entwicklungsbereiche wie Sprache oder Motorik können ungleich fortgeschritten sein. Umgebung des Kindes gut anschauen – kann es sich dort entfalten?

 

Almira, 1 Jahr

Durch Beobachtung ihrer Mama weiß Almira, dass es gleich Abendbrot gibt:

  • Mama geht in die Küche, holt aus dem Brotkorb Brot, öffnet den Küchenschrank und nimmt einen Kinderteller und eine Tasse heraus, stellt alles auf den Tisch
  • läuft nochmal zurück zum Kühlschrank, holt Butter, Käse und Wurst
  • Almira unterbricht das Spielen mit den Bausteinen und läuft zielgerichtet zu ihrem Hochstuhl hin und schiebt ihn an den großen Esstisch heran.
  • dann streckt sie beide Ärmchen nach oben
  • das Zeichen dafür, dass sie in ihren Stuhl möchte und das Abendessen beginnen kann
  • nach dem Essen nimmt sie ihr Lätzchen und wischt sich damit den Mund ab.

Almira hat durch immer wiederkehrende Abläufe und genaues Beobachten ihrer Umgebung eigenständiges Handeln gelernt. Ihre Mutter sieht ganz praktisch eine Entwicklung ihres Kindes und erfährt, dass sie selbst viel dazu beigetragen hat.