Thimm, K.: Sozialarbeit@Schule. Gestaltungsaufgaben in einem bewegten Feld

Sozialarbeit an Schule expandiert im Zuge der Forderung nach breiter Bildungsteilhabe sowie der Ausweitung der Funktionen, Aufgaben und Lernzeiten an (Ganztags)Schulen. Im Aufsatz wird zunächst die funktionale Varianz von Sozialarbeit an Schule als aufgegeben definiert und aufgefächert. Als Schlüsselthemen in der Vor Ort-Praxis werden die Klärung des fachlichen Profils, der Berufsrolle und des Zusammenwirkens der Berufsgruppen vorgestellt. Anschließend werden strukturelle Spannungsfelder und Dissenslinien systematisiert, die planerische Entscheidungen abverlangen. Die Abhandlung endet mit Implementierungsimpulsen für die Standortebene.

 

1. Funktionsvielfalt als Chance und Hindernis

Soziale Arbeit an Schule etabliert sich in der Breite. Allerdings ist nach wie vor begriffliche Unklarheit zu konstatieren. Zunächst soll in Kürze terminologisch orientiert werden.

Unter dem Dachbegriff der schulbezogenen Jugendhilfe sind alle geplanten, organisierten Zusammenarbeitsformen subsummierbar. Das Spektrum umfasst zum Beispiel zeitlich begrenzte Projekte zwischen Jugendarbeit und Schule, Elterntrainings durch Externe, turnusmäßige Kooperation bei der Berufsorientierung, regelmäßige Sprechstunden des Jugendamtes in der Schule oder auch stationierte Sozialarbeit (Schulstation u. ä.).

Schulsozialarbeit ist im Schulbereich der mit Abstand geläufigste Begriff und auch in der Jugendhilfe ist dieses Label tief verwurzelt. Allerdings wird hier befürchtet, dass unter „Schulsozialarbeit“ eine Leistung erwartet wird, die dem System Schule zu Gute kommt und die demgemäß hinsichtlich der Philosophie, der Abläufe und Inhalte stark von der Schulseite bestimmt werden kann.

Soziale Arbeit bzw. Jugendsozialarbeit an Schule bzw. schulbezogene (Jugend)Sozialarbeit soll akzentuieren, dass für Kinder und Jugendliche ein Angebot der Jugendhilfe nach ihren Zwecken, Zielen, Prinzipien, Methoden am Ort Schule zur Verfügung steht. Was ist das spezifisch Sozialpädagogische, das nunmehr in Schule Einzug erhält? Einige identitätsstiftende Merkmale sind: Sensibilität für die basalen Grundbedürfnisse, aber auch „Verhinderungen“ von jungen Menschen und sekundär Eltern und Lehrkräften; Werbung um Mittun (Motivierung); Wahrnehmen und Anfangen, wo der Klient steht (abholende Ankoppelung); Suche nach Aufträgen und Verabredungen (Aushandlung; Partizipation); Ressourcenorientierung; passgenaue Unterstützung; Integration statt Spezialisierung und Aussonderung; Sozialraumorientierung; „Nicht Fehler bekämpfen, sondern für das Fehlende zu sorgen“; Unterscheidung zwischen „Probleme haben“ und „Probleme machen“, also Verstehen mit der aufschließenden Perspektive der Verhaltensmotiv- und Verhaltenszweckerkundung; systemische Verschränkungssicht. Das ist gemeint, wenn „der sozialpädagogische Blick“ im Kontext Schule sein Lager aufschlägt.

Die Rede von Sozialpädagogik an Schule bezieht sich bisher auf die Fachkräfte der Berufsgruppen Sozialarbeiter/innen und Erzieher/innen, die an Ganztagsgesamtschulen tätig sind – im Sozialen Lernen, in der Beratung, in der Freizeitgestaltung und in der Klassenbegleitung („Kerngruppe“) als Ko-Kraft.

Schulbezogene Jugendhilfe ist m. E. ein geeigneter Oberbegriff. Sozialarbeit an Schule sollte überall dort als Terminus verwendet werden, wo eine Fachkraft mindestens 20 Wochenstunden an Schule residiert und die Jugendhilfe die Trägerschaft innehat. Schulsozialarbeit wird wohl noch für längere Zeit als eingeschliffenes Kürzel vor allem in mündlicher Kommunikation in Gebrauch sein, auch weil der Begriff in beiden Systemen beheimatet ist.

Die neue bundesweit belegbare Hausse kann fachlich plausibilisiert werden. Schule eignet sich vortrefflich als Handlungsfeld Sozialer Arbeit:

  1. Schule ist ein zeitlich ausgedehnter, sozialräumlich relevanter und lebensweltlich bedeutsamer Platz für Kinder und Jugendliche. (Bedeutsamkeit des Ortes)
  2. Hilfen im engeren Sinne erzielen umso größere Wirkungen, je weniger sich Symptomausprägung und Desintegration verfestigen. (Rechtzeitigkeitsgrund)
  3. Am Ort Schule sind alle Jungen und Mädchen und auch ihre Eltern mit geringeren Stigmatisierungsgefahren ansprechbar. (Dimensionen der Normalisierung und faktischen Erreichbarkeit)
  4. Organisatorisch, pädagogisch und unter Kostengesichtspunkten können Flankierungen kooperativ, also durch Synergien potentiell wirksamer erfolgen, als wenn jeder in seinem Terrain unabgestimmt für sich bleibt. (Aspekte der Effektivität und Effizienz)
  5. Überforderung der Profession der Lehrer/innen, die folgende Herausforderungen allein nicht abdecken kann:
  • ein breites Bildungskapital zur Verfügung stellen – auch hinsichtlich der sozialpädagogischen Domänen der sozialen und moralischen Bildung
  • Mädchen und Jungen bei ihren Suchbewegungen zur Seite stehen (Wie will ich sein? Was will ich aus mir machen), im Sinne von Impulsen zur Biografiegestaltung
  • Bewältigung eines dichten Schulalltags mit Leistungserwartungen, Verhaltensanpassungsforderungen und Behauptung in der sozialen Peer-Arena

Es gilt, professionell verknüpft gerade benachteiligte Mädchen und Jungen zu unterstützen. Wer nicht lernen kann, weil die desolate Lebenslage Kräfte absorbiert, wer weniger motivationales, soziales und kulturelles Kapital in die Schule einschleusen kann, fällt schneller heraus. Weil die im Milieu der Familie erworbenen oder geschenkten Vorteile und die vielfältige familiale Stützung im Dunkeln bleiben, erscheint individueller schulischer Erfolg irrtümlich als Begabung, Wille, Anstrengungsbereitschaft. Diese verblendende individualisierende Zurechnung wird Sozialarbeit nicht mittragen, sondern thematisieren und mit unmittelbaren Stützungen genauso wie mit Schulentwicklungsimpulsen bearbeiten. (Aspekt der Sozialisationsergänzung in den Bereichen Bildung, Lebensgestaltung, Alltagsbewältigung, Chancen- und Prozessgerechtigkeit für Benachteiligte; siehe 2.)

 

Sozialarbeit an Schule gilt, je nach konzeptionellen Schwerpunkten, Personprägung durch die Fachkraft, Kultur der Einzelschule als multifunktionaler Beziehungs-, Beratungs-, Bildungs-, Geselligkeits-, Erholungsraum, der von je unterschiedlichen Nutzer/innen je individuell angeeignet wird. Die Praxis zeigt, dass die Aufgabenschwerpunkte und -zuordnungen an Standorten stark von den geäußerten Bedürfnissen und dem ausgehandelten Bedarf der jungen Menschen mitbestimmt werden. Bolay / Flad (2006) belegen u. a. folgende Besetzungen bzw. Verwendungen der sozialpädagogischen Fachkraft am Ort Schule durch die Adressat/innen: Kinder und Jugendliche erleben, dass sie eine Breite von Anliegen artikulieren können, ohne sogleich mit Nicht-Zuständigkeits-Erklärungen konfrontiert zu sein. Die Fachkraft ist zeitlich flexibel, ohne Sprechstunden-Hürden sowie über längere Zeiträume mit unterschiedlichen Kontaktintensitäten auf informellen Zugangswegen ansprechbar. Mit der Zuschreibung der Rolle von „anderen Erwachsenen“ (die sich von Lehrer/innen und Müttern / Vätern abheben) gehen Bestimmungsmerkmale wie Vertrauen, jugendkulturelle Sensibilität, respektvolle, sanktionsfreie Bezüge einher. Dabei wird der/die Sozialarbeiter/in oft als „Tor zur Welt“ mit brauchbarem Know how (hilfreiche Kontakte; Verweisungswissen …) wahrgenommen und als intermediäre Instanz geschätzt.

Nutzungsvarianzen zeigt auch Streblows (2005) Untersuchung der Aneignung einer Schulstation an einer Berliner Hauptschule. Unstrittiger Bestimmungskern ist die moderierende Funktion der Jugendhilfe: zwischen Schule und jugendkultureller Lebenswelt sowie Lehrkräften und Jugendlichen, zwischen Jugendlichengruppen sowie Eltern, Kind und Schule. Die Schulstation, so zeigt die empirische Erkundung, erfüllt im Rahmen einer Zwei-Zonen-Kultur (Schule versus Jugendhilfe) für je verschiedene Jugendliche Funktionen:

  • der Exklusionsvermeidung: Beziehungsangebot mit Anvertrauen und Mitteilen, räumliche Entlastungsfunktion und jugendkulturelle Ortsbesetzung, alternativer Aufenthalt statt Diebstahl im Supermarkt in Freistunden – „Chillen statt Klauen“;
  • der Inklusionsvermittlung, etwa nach Konflikten durch Anleitung zu Perspektivenwechsel seitens der Schüler/innen und Lehrer/innen, durch Einbindung von Eltern nach einem Konflikt oder bei Cliquenstreit: „Die klären das dann.“; „Deshalb bin ich denn auch zu Heiko gegangen und dann haben die das geregelt.; „Die Ratschläge sind gut.“;
  • der Exklusionsverwaltung nach aktiver Herbeiführung des Aufenthaltes: „Ich war mal wieder den ganzen Tag in der Schulstation.“; „Fast jeden zweiten Tag.“; „Ich war fast mein ganzes anderes Schuljahr in der Schulstation, hätt ich eigentlich übernachten können.“

Systemtheoretische Erklärungen erschließen, dass das erste Interesse von Schule ist, Betriebsablaufstörungen zu mindern oder auch: ihre Problemfälle adäquat zu versorgen. Fragt man an Schulen nach, wird Sozialarbeit nach Findungs- und Synchronisationsprozessen allerdings zunehmend als pädagogisch gewinnreiche A-Priorität gesehen. Einige Stimmen von Schulleiter/innen mit Sozialarbeitserfahrung am Standort (vgl. LWV (Hrsg.) 2000):

  • Schule erfährt Entlastung, kann sich weiter öffnen und Schulsozialarbeit ergänzt das Angebot an der Schule. Um die Schulsozialarbeit herum hat sich ein Netzwerk entsponnen, in das die Schule eingewoben ist. Die Fragen, die wir uns in der Schule stellen, sind vielfältiger geworden, auch durch die Kinder, aber auch dadurch, dass Schulsozialarbeit andere Fragen stellt und andere Antworten gibt. Und die Entlastung, die wir auf der sozialen Ebene durch die Schulsozialarbeit erfahren, gibt uns Kraft für unsere originären Aufgaben: das Lernen zu fördern. Schulsozialarbeit wäre aber nicht auf fruchtbaren Boden gefallen, wenn die Schule sich nicht selbst bewegt hätte. Kurz: Unsere Schule hat sich durch Schulsozialarbeit verändert. (Hauptschule)
  • Durch Schulsozialarbeit hat sich die erzieherische Situation geändert: Umgangsformen, Klima, Art, Zahl und Ablauf der Konflikte, Zusammenarbeit mit der Polizei … (Förderschule)
  • Innerhalb von zwei Jahren konnten wir die Zahl der Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen von 48 auf sechs herunterschrauben – nicht zuletzt durch Schulsozialarbeit. (Grund- und Hauptschule)

Einige Hauptprobleme jedenfalls in der „neuen“ Berliner Praxis (seit 2007) an Haupt- und Förderschulen konnten in mehreren Diplomarbeiten an der Evangelischen Fachhochschule Berlin herausgearbeitet werden:

Strukturelle Probleme

Sozialarbeiter/innen arbeiten oft allein – als „Gast in einem fremden Haus“ (F. Baier). Berechenbare Abläufe in der Leistungsplanung, -steuerung, -erbringung, -auswertung sind nur teilweise gegeben. Vor allem Träger mit wenigen schulbezogen tätigen Fachkräften können sich nicht immer in gebotener Weise um die fachliche Qualität der Vor Ort-Arbeit kümmern. Bezahlung und Status der Sozialarbeiter/innen bringen eine Schieflage in das Berufsgruppen-Verhältnis an Schulen.

 

Konzeptionelle Probleme

Konzepte liegen entweder nicht in der gebotenen Güte vor oder sie erlangen geringe steuernde Wirkung. Im Kontext der potentiellen und realen Heterogenität der Aufgaben ist das inhaltliche und professionelle Profil der Sozialen Arbeit oft nicht berechenbar erkennbar.

 

Akzeptanz

Sozialarbeit an Schule ist nicht genügend integriert. Eine Ausdehnung der günstigen Zusammenarbeit auf das zweite oder gar das dritte Drittel des Lehrerkollegiums stellt sich auch an „Good Practice“-Standorten als schwierig heraus.

 

Aufgabenzuordnungs- und Rollenprobleme

Zuständigkeiten sind nicht hinreichend transparent. Die Rolle der Sozialbeiter/innen, gerade unter dem Aspekt der ständigen Balancen zwischen unterschiedlichen Erwartungen der Anspruchsgruppen, ist vor allem aus Lehrersicht irritierend unscharf.

 

Kooperation

Fachlich fragwürdige Delegation von Aufgaben findet statt. Konkurrenzen zwischen den Professionen bestimmen mancherorts das Klima und den Alltag.

 

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Zusammenspiel zwischen Sozialarbeit und Schule gelingt? Diese Frage erhält besondere Brisanz dadurch, dass die Vielfalt der Erwartungen unterschiedlicher Adressat/innen sowie reale Funktions- und Nutzungsvarianzen mit eher schwachen strukturellen Rahmungen einhergehen. Ich möchte drei besonders wichtige Felder heraus greifen, auf denen sich das Gelingen von Sozialarbeit an Schulen entscheidet: Profil, Rollenanlage und Kooperation.

 

2. Schlüsselthemen „Profil“ und „Rolle“

Mit welchen Begründungen wird Sozialarbeit an Schule gefordert und zunehmend etabliert und welche Selbst- und Fremddefinitionen treffen ggf. aufeinander?

Sozialisations- und modernisierungstheoretische Begründung:

Junge Menschen benötigen soziale und moralische Kompetenzen und Orientierungshilfen, die Familien in der Breite nicht mehr hinreichend und Schule mit der allein gestellten Berufsgruppe der Lehrer/innen qua Struktur, Kernzweckbindung (Wissen und schulfachlich gebundene Qualifikationen), Aufgabenvielfalt, Ausbildung, Ressourcen nicht erbringen können.

Schulfunktionsbezogene Begründung:

Die Schule selbst muss Lernvoraussetzungen häufig allererst schaffen. Importierte, Lebenslagen-bedingte Spannungen und aufschließende Motivierung zum Lernen benötigen ergänzende Auffangadressen und anreichernde Fachlichkeit – auch, um gewinnreiche Unterrichtsabläufe abzusichern.

Jugendtheoretische / -pädagogische Begründung:

Junge Menschen kommen „ganz“, mit emotionalen, sinnlichen, sozialen Bedürfnissen und nicht nur als Fachstoff-Rezipienten in das Haus des Lernens. Gerade eine ganztägige Schule muss vitale Bedürfnisse in unterrichtsflankierenden Sektoren befriedigen.

Benachteiligungstheoretische Begründung:

Herkunftsbenachteiligung ist mit abgestimmten Unterstützungs- und Förderungskonzepten zu beantworten, um politisch und fachlich abgeforderte Bildungs- und Integrationserfolge zu gewährleisten.

 

Konzepte der Sozialarbeit an Schule sollten spiegeln, welche Begründungsschwerpunkte die Protagonisten setzen. Es dürfte sich nicht auszahlen, von der Illusion auszugehen, dass sich je eigene theoretische Vorab-Bestimmungen umstandslos auf einen Nenner bringen lassen. Aus Klärungsprozessen unter dem Motto „Wofür steht das Ergänzungsangebot mit Blick auf die Nutzer/innen?“ ergibt sich nicht nur ein Mehr an Berechenbarkeit und Rollenklarheit. Auch die Angebotsinhalte werden daraus transparenter und gerichteter zu entwickeln sein. Mögliche Präferenzen sind:

  • Bewertungsfreies Milieu für Gedanken, Fragen, Gefühle, Mitteilungswünsche – jenseits der Lernerrolle
  • Orts- und Raumschaffung für Spaß, Erholung und Jugendkultur
  • Moderation von Konfliktkultur und erwartungswidrigem, anstößigem Schülerverhalten
  • Ergänzende gebrauchswerthaltige Bildungsangebote (kulturell, strukturell, inhaltlich, methodisch)
  • Brücke zur Familie
  • Öffnung zum Gemeinwesen
  • Vernetzung mit Umfeldern
  • Seismograph für Entwicklungsnotwendigkeiten des Systems Schule

Die unmittelbar und mittelbar Beteiligten, also auch Träger, Geldgeber, Aufsichtsbehörden, sind in den Dialog einzubinden, wieso und wozu Sozialarbeit an einer Schule tätig wird. Nur wenn organisierte Kommunikation in den Startphasen und in Zwischenbilanzen zwecks Selbstvergewisserung und Abgleich stattfindet, wird sich ein Sozialarbeitsprojekt über konfliktanfälligen Situationismus bzw. ein Nischen-Dasein als „Schmuck am Rand“ hinaus entwickeln. Eine solche „Mikropolitik am Arbeitsplatz“ (B. Müller) führt zum Profil am Standort, solange sich eine (kaum mögliche) serielle und standardisierbare Kanonisierung in der Breite nicht abzeichnet.

 

Die Fachkräfte sind herausgefordert, Balancen im Umgang mit einer potentiellen Aufgabenflut, mit Erwartungsdivergenzen und Interessenkonflikten zu suchen. „Häufig lassen sich (…) die unterschiedlichen Rollen in der Praxis kaum trennen, ein schneller Rollenwechsel und die kontinuierliche (Neu-)Definition der eigenen Rolle gegenüber den Jugendlichen und den LehrerInnen prägt den Alltag der Schulsozialarbeit“ (Baier 2006, 120). Sozialarbeiter/innen berichten in Bolays Untersuchung (2004), dass sich die Fachkräfte auf ein gewisses Chaos einlassen müssten. Besonders wirksam unter dem Gesichtspunkt der Prävention von zerreißenden Rollenspannungen erscheint die Transparenzschaffung in direkter Kommunikation,

  • sowohl als konzeptuelle Vorab-Definition von Selbstverständnis, Fähigkeiten und Motiven, nicht hintergehbaren Spannungsgeflechten,
  • als auch durch Erklärungen in der jeweiligen Anforderungssituation (etwa, wenn eine Seite in einer konfliktären Situation enttäuscht wurde),
  • sowie in Form von Nachbereitung, gerade wenn kein „Win-Win“-Erleben am Ende steht.

Eine Fachkraft: „Wir müssen uns unsere Neutralität jeden Tag neu erarbeiten. Zum Beispiel in Bezug auf Elterngespräche. In Vorgesprächen versuchen Lehrer/innen, mich auf ihre Seite zu ziehen und mich von ihrer Meinung zu überzeugen. Gleiches gilt für Schüler/innen und Eltern. Ich muss ja gucken, was für den einzelnen Schüler richtig und wichtig ist. Häufig habe ich den Eindruck, dass die einzelnen Gruppierungen mich auf ihrer Seite wähnen.“ (Neunert 2009, 56) Eine solche polyvalente Mehrparteilichkeit dürfte gute Voraussetzungen bieten, in die verschiedenen Lager hinein anschlussfähig zu bleiben. Sie birgt aber auch die Gefahr, als illoyal sowie als Professionelle ohne Identität und Eigenschaften abgewertet zu werden.

Die Ausführungen zu den Intra-Rollenspannungen zeigen, dass die Fachkraft der Sozialen Arbeit für sich zu klären und nach außen zu kommunizieren hat, dass Funktionszuschreibungen und Selbstdefinitionen nebeneinander stehen: Anwalt der Schüler/innen (das heißt allerdings nicht, ausschließlich Zeit mit den Schüler/innen zu verbringen); Allparteilichkeit, Moderation, intermediäre Instanz nach innen; Drehscheibe nach außen, mit der Notwendigkeit, vor allem bei Eltern und in der Jugendhilfe als geachteter Gesprächspartner im Sinne eines ehrlichen Maklers wahrgenommen zu werden.

Konzept, Team, Supervision, Teilnahme an Konferenzen, Rückhalt durch Schulleitung, Projektgruppe Sozialarbeit, interner Qualitätszirkel, Schulprogramm-Gruppe, berufsgruppenverbindende Fortbildung – das sind Rahmenfaktoren, die es Sozialarbeiter/innen ermöglichen, das „Spiel mit mehreren Bällen“ auszuhalten oder gar fruchtbar werden lassen.

 

3. Schlüsselthema „Interne und externe Kooperation“ 

Allparteiliche Moderation beinhaltet in der Grundhaltung, zu allen Beteiligten „eine tragfähige Beziehung aufzubauen, die auf (…) Schuldzuweisungen und „Ermahnungen“ verzichtet“ (Baier 2006, 119). Gefahren sind allerdings allgegenwärtig, „von den LehrerInnen schnell als „Gegner“ wahrgenommen zu werden, wenn sie (die Sozialarbeiter/innen, KT) sich zu deutlich auf die Seite der Jugendlichen begeben und umgekehrt“ (Baier 2006, 120). Auf Grund einer schülerparteilichen Aufgabenanlage und eines forcierten Autonomiestrebens der Sozialarbeit an Schule kann die hinzukommende Profession dann oft wenig Einfluss auf schulische Sozialisations- und Organisationsentwicklungsprozesse nehmen (vgl. Schmidtchen 2005, 344). Eine Lehrkraft nach zwei Jahren Sozialarbeit an der Schule: „Die kochen ihr Süppchen, wir unseres. Es ist nicht viel Unterschied zu vorher, als wir sie nicht hatten“ (vgl. Schmidtchen 2005, 344). Eine Erfolg versprechende Soziale Arbeit an der Schule sollte „Erwartungen der Lehrer aufgreifen“ bzw. „von diesen Erwartungen ausgehen“ (dieselbe 2005, 345). Allerdings können Wünsche nicht umstandslos befriedigt werden. Eine Lehrkraft auf der Grundlage einer Enttäuschung von puren Übernahme- und Korrekturerwartungen mit Blick auf so genannte Problemschüler/innen: „Es bringt mir keine Entlastung, keine Zeitersparnis, keine Arbeitserleichterung – ich bin enttäuscht“ (dieselbe 2005, 340).

 

Manches deutet darauf hin, dass im ersten halben Jahr an einem neuen Standort die moderierende Funktion zwischen Lehrkräften und Schüler/innen schwieriger umsetzbar ist, weil der Kredit und damit der Vertrauensvorschuss noch gering sind und Enttäuschungen der einen oder der anderen Seite kräftig zu Buche schlagen. Eine Lehrkraft schildert: „Vertrauen ist nicht mehr so. Es sind einige Situationen gewesen, wo ich mich geärgert habe, weil er meine Seite nicht gesehen hat“ (Schmidtchen 2005, 342). Soziale Arbeit, die ihre moderierende Funktion nicht günstig gestalten konnte, wird zu einer Belastung, die „in mir wühlt“. Hier wird deutlich, dass Kränkungen nicht unwahrscheinlich sind, wenn womöglich auf Lehrer- und/oder Sozialarbeitsseite ggf. gleichzeitig auftretende Überlegenheits- und Unterlegenheitsgefühle, Retterzuschreibungen und Konkurrenzerleben in nicht aufgeklärten Mischungen das innere Feld besetzen. Schmidtchen konnte in ihrer empirischen Erkundung von Startphasen an Schulen im Münchener Raum mit Blick auf Lehrerreaktionen zeigen, dass diese nicht selten „emotional gesteuert waren. In den häufig gefühlsbetont und erregt geäußerten Aversionen, die verbrämt waren als Mangel an Transparenz, Nähe, Vertrauenswürdigkeit, Anerkennung, Verschwiegenheit, Verständnis, Kompetenz und ähnliches, ging es vielfach um (…) das rein subjektive Gefühl erlittener Geringfügigkeit“ (dieselbe 2005, 350).

 

Eine Rollenlage als innerschulische Brücke soll Kooperationen zwischen Lehrer/innen und Sozialarbeiter/innen befördern. Kooperationslernen beinhaltet, Motivation und Fähigkeiten zur Zusammenarbeit zu erwerben, Arbeitsteilungen auszuhandeln, thematische Schnittmengen zu finden, diese miteinander zu gestalten und sich strukturell aufeinander zu beziehen. Eine landesweite Untersuchung von Bolay u. a. (2004) in Baden-Württemberg belegt, dass die Hälfte der Lehrerschaft mit der Sozialarbeit kooperiert (sowohl punktuell und mit kurzfristiger Perspektive als auch regelmäßig und längerfristig). Als uneingeschränkt kooperationswillig galt ein Viertel der Lehrer/innen, mit Kooperationsformen wie: Absprachen zu Problemschüler/innen; Information der Lehrkräfte zu Angeboten; Abstimmung von Konzept und Tätigkeitsschwerpunkten; Zusammenarbeit der Berufsgruppen in Vorhaben; institutionalisierter schulischer Arbeitskreis; gemeinsame Fortbildungen; organisierte Mitwirkung an schulischen Entscheidungsprozessen, zum Beispiel durch Gremienteilnahme. Kooperation findet zwischen Subjekten als Rollenträgern und als Menschen statt. Die Akzeptanz von Zusammenarbeit steigt, wenn zwischen Kooperierenden „Haltungen und Einstellungen weitgehend übereinstimmten und – um es ganz banal zu sagen – wenn man sein Gegenüber nicht nur respektierte, sondern gerne leiden konnte (…). Die Akzeptanz der Schulsozialarbeit korrelierte an jeder Schule mit der (…) Wahrnehmung der (…) entlastenden Beiträge zum Schulleben und noch stärker mit der ganz persönlichen menschlichen Bewertung der Sozialpädagogen“ (Schmidtchen 2005, 333, 337).

 

Schulen kooperieren „mit vielen unterschiedlichen Einrichtungen, um einerseits eine Angebotsvielfalt zu erreichen und um den oft konflikthaften Schulalltag andererseits für alle zu entdramatisieren, ohne auf Ausgrenzungsmechanismen zurückzugreifen“ (Flad / Bolay 2007, 69). Folgende Typisierung von extern ausgerichteten Kooperationsarten lässt sich auf der Systemebene vornehmen (vgl. dazu die hier leicht modifizierte kategoriale Ordnung von Flad / Bolay 2007, 67 ff.):

Additiver Binnenbezug

Eine starke Innenorientierung der Schule verbindet sich damit, eigene, heimische Kompetenzen und Erfahrungen zur Problemlösung heranzuziehen. Anschlussthemen für Kooperationen werden im Schulprogramm nur marginal ausgewiesen; konzeptionelle und schriftliche Vereinbarungen fehlen weitgehend. Die Sozialarbeit in der Schule sieht in der Kooperationsgestaltung keinen herausgehobenen Tätigkeitsschwerpunkt.

Pragmatisch-schulzentrierter Mitnahmehabitus

Die Schule sammelt ein, was sich unaufwändig ergibt. Verschiedene Kooperationspartner stellen ihre Angebote punktuell und nebeneinander zur Verfügung, ohne dass Zusammenhänge sichtbar werden. Sozialarbeit an Schule ist Netzwerkpartnerin, übernimmt aber keine exponierte Rolle in der Kooperationsentwicklung.

Kooperationsmanagement als Dienstleistungsangebot

Die Zielsetzung liegt in einem vielfältigen, abgestimmten, von Leitideen gelenkten Gesamtangebot für die Schüler/innen. Ein Jugendhilfeträger organisiert die Außenbeziehungen der Schule und filtert mögliche Angebote. Der/die Sozialarbeiter/in definiert einen zeitlichen Anteil von 30 bis 40 % für diese Tätigkeit, so dass Vernetzungen, also die Akquisition, Steuerung, Qualitätskontrolle, Auswertung der Kooperationsangebote, zur Kernaufgabe werden.

Sozialräumliches Kooperationskonzept

Dabei steht am Beginn der Überlegungen, dass Sozialarbeit an der Schule Katalysator für die Vernetzung der Schule mit Jugendhilfeanbietern und Ressourcen des Einzugsgebietes (Wirtschaft, Ehrenamt, Kultur, Sport …) sein soll. Kennzeichen sind: Das Arbeitszeitquantum für Netzwerkarbeit und Kooperationsmanagement ist festgelegt. Die Verbindlichkeit wird durch Vereinbarungen unterstrichen. Eine Stadtteilkonferenz, ein Quartiersrat u. ä. ist Börse und Schaltstelle für den Austausch zwischen Schule und Umwelt. Günstig sind Schnittmengen von Schulprogramm und Konzeptionen der Umfeldpartner (etwa im Bereich Berufsorientierung oder des Service Learnings in der Kommune: für benachteiligte Gruppen, für kulturelle und ökologische Projekte …). Positive Effekte für das kommunale Leben, die Elternaktivierung, den Schul-Spirit, den Unterricht, die Lehrerzufriedenheit und die Förderung einzelner Jungen und Mädchen in erschwerten Lebenslagen sind inzwischen vielfach nachweisbar (vgl. etwa das Programm „Ganztägig lernen“).

 

Entscheidungen sind in allen Programmvarianten zu folgenden Themen fällig: Welches Schulprofil wird angestrebt? Wer macht was, also welche der Kurse, Projekte, Einzelhilfen usw. werden von der externen Jugendhilfe, der Sozialarbeit an Schule, ggf. dem Betreuungspersonal an Ganztagsstandorten und den Lehrkräften unterbreitet – entweder durch die jeweilige Berufsgruppe allein oder in je besonderen Koproduktionen von Tandems und Tridems? Zu etablieren sind teamähnliche Strukturen: gemeinsame Planung, gemeinsame und abgestimmt-getrennte Durchführung, berechenbare Auswertung mit Transparenz für alle unmittelbar Betroffenen und die mittelbar Beteiligten. Gelingensfaktoren von Kooperation sind nachgewiesen: Problemdruck; Lösungsorientierung; Mehrwert für die Kerngeschäfte; Beziehungsgewinn; personale Entlastung in der Bewältigung des strapaziösen Alltags.

 

4. Ausgewählte Spannungsfelder und Dissenslinien als Gestaltungsaufgaben

In der Vor-Ort-Praxis sind Reibungen und Entscheidungsnotwendigkeiten in den folgend skizzierten Bereichen aufgegeben. Die Ordnung kann nicht von der Kanzel geschaffen werden. Qualitätsmerkmale sind allerdings, die thematische Agenda-Aufstellung, die Meinungsbildung und die Positionierungen bewusst, reflektiert, partizipatorisch und in dichter Kommunikation zu prozessieren. Jede der vorzunehmenden Entscheidungen hat Risiken und Nebenwirkungen, die wahrzunehmen und abzuwägen sind.

Zwischen Planung und Spontaneität

Eine Lehrkraft äußert: „Mir geht also ganz wirklich dieses Gesamtkonzept ab. Im Moment habe ich so das Gefühl, unser Sozialpädagoge schwebt durch unser Haus und sucht sich da mal was raus und da mal was raus (…)“ (Schmidtchen 2005, 349). Sicher können sich dahinter Profil- und Konzeptschwächen verbergen. Aber die Arbeit an der Schule ist grundsätzlich nicht genau planbar und kalkulierbar. Nicht selten muss, wie in alltagsorientierter Sozialer Arbeit generell, situationsgerecht und spontan gehandelt werden (vgl. dieselbe 2005, 333).

Zwischen Allparteilichkeit, Schul- und Schülerorientierung

Der seit Aufkommen der Sozialen Arbeit an Schule schwelende Konflikt zwischen der Erwartung von Schule nach einer eingreifenden, Störungen abnehmenden reaktiven Arbeitsweise und den schülerorientierten anwaltlichen Zielen und Rollenanlagen sowie dritten intermediären Moderationskonzepten ist nicht einfach zu überwinden.

Zwischen einer forciert-eigenständigen Jugendhilfe am Ort Schule und kooperativen / integrativen Konzepten

Erklärt sich die Jugendhilfe als eigenständige Soziale Arbeit für die Bearbeitung von durch sie selbst und die Nutzer/innen bestimmten Aufgaben zuständig? Oder möchte die schulbezogene Soziale Arbeit Schule als kind- und jugendgemäßen Ort in der Breite mitgestalten? Einige Sozialarbeitsprojekte favorisieren die außerunterrichtlichen Bereiche (Biografie-, Freizeit-, Konflikt-, Berufsbezug) und kooperieren mit Lehrkräften auf Einzelfälle bezogen. Andere wollen in die Kernzone Unterricht hinein, möchten systembezogen arbeiten und sind dementsprechend etwa offen für Projektlernen oder Soziales Lernen, das in Tandemarbeit mit Lehrkräften vorbereitet und durchgeführt wird.

Zwischen Aufgabenteilung und gemeinsamer Aufgabenbearbeitung

Teilt man überschneidende Themen bzw. Aufgaben (etwa Berufsorientierung oder Soziales Lernen) prinzipiell auf oder führen vermischte Aufgaben zu vermischten Zuständigkeiten (und so zu häufigen Aushandlungen zwischen Lehrkräften und Sozialpädagog/innen, wer was wie mit wem tut)? Ist die Rollenweitung für die Lehrerprofession vorläufig abgeschlossen? Ließe sich durch Minderung von Unterrichtsverpflichtung in kleineren Klassen der von der Wirklichkeit diktierte Weg der Pädagogisierung von Schule und Lehrerrolle (ggf. jenseits des Gymnasiums) sinnvoll ausbauen? Einige Jugendhilfe-Mitarbeiter/innen können mit einer Zwei-Zonen-Kultur – weiche, beziehungsbasierte Jugendhilfe und kognitiv-stoffgebundene Leistungsschule – leben, weil sie dieses „Schisma“ für realistisch halten und professionelle Unterscheidbarkeit wollen. Rollenklarheit und eindeutige Zuständigkeiten schützen dann ggf. eher vor Diffusion, Überlastung, Enttäuschungen. Andere Konzepte formulieren: Schule ist keinesfalls von ihrer Zuständigkeit für die Integration und Förderung der herausfordernden jungen Menschen zu entpflichten. Und Soziale Arbeit soll keinesfalls für die Beziehungs- und Erziehungsthemen Hauptverantwortung reklamieren. Denn je „besser“, je kompletter die Beziehungsarbeit der Sozialpädagogin, um so eher schalten sich Lehrer/innen pädagogisch aus.

Zwischen Bildung und Lebensgestaltungsbegleitung „für alle“ und Benachteiligtenfokus

Die drohende „Usw.“-Falle schulbezogener Sozialer Arbeit ist mögliche Folge der potentiellen Allzuständigkeit von Profession und Fachkraft. Der gängige (Formel)Kompromiss zur Zielgruppenfrage lautet: Soziale Arbeit hat sich besonders um benachteiligte junge Menschen zu kümmern. Aber sie tritt notwendig auch als Anwalt aller Schüler/innen auf. Sie muss sich nicht auf Benachteiligte beschränken, hat aber für diese wirksam zu sein.

Zwischen Stationierung am Ort Schule und Sozialraumverankerung – Zwischen Jugendhilfe- und Schulfinanzierung

Umstritten ist die strukturelle Seite der schulbezogenen Sozialen Arbeit. Vier Dissensareale lassen sich bestimmen:

  1. Finanzierung. Im Rahmen von Regelfinanzierung (das schließt aus: befristetes Projektangebot etwa der Jugendhilfe als Antwort auf einen akuten Bedarf; Eingliederung in den Arbeitsmarkt durch ABM o. ä.; EU-Finanzierung über den Europäischen Sozialfonds; Stiftungsfinanzierung auf Zeit) kommen in Frage: a. Land qua Kultus-, Bildungsministerium; b. Land qua Sozial-, Jugendministerium; c. Schulträger; d. öffentlicher Träger der Jugendhilfe (Kreis; Stadt); e. bei einer dreigliedrigen Verwaltungsstruktur ggf. ergänzend noch die Standortkommune (sofern nicht identisch mit dem Schulträger).
  2. Trägerschaft. Hier existieren mit Bundesblick drei Varianten für die überwiegende Mehrzahl der Standorte: freier Träger der Jugendhilfe, Schulträger (Kommune) und öffentlicher Träger der Jugendhilfe.
  3. Aufsicht. Soziale Arbeit an der Schule benötigt eine dienstliche und eine fachliche Aufsicht. Diese wird häufig bei dem Träger angesiedelt sein. Aufsicht kann insgesamt in einer Hand liegen oder getrennt nach dienstlichen und fachlichen Belangen wahrgenommen werden. Als die Aufsicht führende Stellen kommen in Frage: freier Jugendhilfeträger; öffentlicher Jugendhilfeträger; Staatliches Schulamt (Schulaufsicht); Schulträger; Schulleiter/in.
  4. Verortung. Hier lassen sich wiederum prinzipiell drei Strukturmodelle unterscheiden:
  • Vollstationierung an einer Schule (in Ausnahmefällen auch an zwei Standorten);
  • 50-50-Splitting zwischen der Residenz an der Schule und einem Jugendhilfeauftrag im Sozialraum (Straßensozialarbeit, ambulante Hilfen zur Erziehung, Jugendfreizeiteinrichtung, mobile Jugendarbeit, Jugendberatung …)
  • Ansiedelung der schulbezogenen Jugendhilfe in einem schulexternen Kompetenzzentrum, das ggf. ausschließlich schulbezogene Leistungen erbringt („Abrufangebote“, die genau ausgehandelt und kontraktiert werden). Einzelfallbezogene, in den Schulalltag eingelassene kurz- und mittelfristige Hilfen fallen dann weitgehend weg.

Es dürfte deutlich sein, welche Bandbreite von Kombinationsmöglichkeiten besteht. Deutlich wird bei genauerer Analyse, dass zwei Grundmodelle bisher die häufigste Alternative abbilden. Schulträger als Anstellungsträger und Fachaufsicht, Schulleiter/in als Dienstaufsicht oder Freie Jugendhilfe als Anstellungsträger, Fach- und Dienstaufsicht – in kooperativen Bezügen zur Einzelschule. Bewertungsrichtungen und Gewinn- bzw. Verlustrechnungen ergeben sich aus dieser einfachen Bilanzierung: Die schulbezogene Anbindung liefert alle Vor- und Nachteile, die sich ergeben, wenn man Teil von Schule ist. Die Jugendhilfe-Anbindung bietet Chancen und Grenzen, die in der relativen Unabhängigkeit und in der Einbindung in heimische Kontexte, aber auch der fehlenden Zugehörigkeit zum Schulbereich wurzeln.

Gerade schulbezogene Soziale Arbeit bietet sich für Mischfinanzierungen (örtliche und überörtliche; Schul- und Jugendbereich) an. Die finanzielle Lastenverteilung und die Trägerfrage sollten gemäß der inhaltlichen Profile und Angebote entschieden werden. Da thematische Schnittmengen unabweisbar gegeben sind, wären Mischfinanzierungen durchaus sachgerecht, bieten allerdings vielerlei Anlass und Stoff für Gerangel um Macht und Einfluss.

 

5. Implementierung mit professioneller Qualität

Die in den geforderten, aber auch tatsächlichen Aufgabenprofilen zutage tretenden Handlungsformen sind je für sich fachlich anspruchsvoll und in der Zusammenschau komplex:

  • Beraten – junge Menschen, Eltern, Lehrkräfte
  • Klären und Weitervermitteln (Arbeit mit Einzelnen)
  • Planung, Durchführung, Lenkung und Auswertung von Unterstützungs-prozessen / Case Management und Projekte (mit Einzelnen und Gruppen)
  • Lösungsorientierte, moderierende Gestaltung von Konflikten
  • Kooperation und Netzwerkarbeit
  • Laufende feinkonzeptionelle Entwicklung des eigenen Arbeitsfeldes
  • Mitentwicklung der Organisation Schule
  • Strukturierte Präsentation der Arbeit (Schule, Träger, Fachöffentlichkeit)
  • Dokumentation, Evaluation, Reflexion und Qualitätsmanagement

Geforderte fachliche Kompetenzen sind: Planungskompetenz; Strukturierungskompetenz; Entscheidungskompetenz; Kommunikationskompetenz; Kooperationskompetenz. Diese sicherlich nicht abgeschlossenen Kataloge setzen eine wissenschaftliche, hochschulische Ausbildung voraus, wenn fachliche Gütemaßstäbe über „Wursteln“ hinaus erwartet werden.

 

Die regionale und lokale Implementierung hat systematisch zu erfolgen: kommunale interne Jugendhilfe-Schwerpunktsetzung mit Rahmenrichtlinien und Mantelkonzepten; Untersuchung der Lage an der Schule und im Sozialraum (Bedarfserkundung); Gewinnung von Schulleitung und eines Lehrerkerns; gemeinsame Zielaushandlung mit Mandatszuerkennung; Konzepterstellung mit Aufgabenpräzisierung und -ausscheidung; informelle und formelle Kooperationsstrukturen mit festen Verabredungen; Auswertungsprozedere. Praktikable Ansätze, die Struktur- und Prozessqualität von schulbezogener Jugendhilfe durchdekliniert auszuweisen, liegen vor (vgl. Speck, 2006).

Die Etablierung von Sozialarbeit an Schulen auf Standortebene durchläuft Stadien. Ein Schulleiter: Wir hatten uns vorgestellt, die Schulsozialarbeit wird dem System Schule angefügt wie ein Baustein und hat dann zu funktionieren. Am Anfang haben wir immer wieder gesagt: „Du gehst jetzt zum Schulsozialarbeiter.“ Inzwischen wissen wir, dass man Hilfe nicht befehlen kann und dass eine solche Anordnungskultur nicht zur Sozialen Arbeit passt und schon gar nicht kollegiale Augenhöhe spiegelt (vgl. LWV (Hrsg.) 2000). 

Nicht wenige Sozialarbeitsprojekte folgen diesem Phasenmodell:

Phase 1: Schulbezogene Sozialarbeit wird sozial, bildungs- und jugendhilfepolitisch durchgesetzt über einen Stigmatisierungsansatz: schwierige Schüler/innen, hoher Anteil von Kindern mit Eltern nichtdeutscher Muttersprache, sozialer Brennpunkt …

Phase 2: Die primären schulischen Erwartungen richten sich auf die Arbeit mit schwierigen Schüler/innen und die Erhöhung der Akzeptanz von Schule bei Schüler/innen.

Phase 3: In einem Lern- und Entwicklungsprozess wachsen Verständnis und Vertrauen zwischen Jugendhilfe und Lehrkräften. Nach und nach entfalten sich Konzeption und Praxis in Richtung auf präventive Angebote wie soziale Gruppenarbeit, Involvierung von Eltern, eine räumliche und organisatorische Umgestaltung der Schule.

Phase 4: Die Öffnung und Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern werden intensiviert. Dazu gehören konzeptionelle Abstimmungen zwischen Schulen, Jugendhilfe, Arbeitsagentur, Wirtschaft, kommunalen Einrichtungen … Hier wird nicht primär auf Defizite und Gefahrenabwendung fokussiert, sondern gelingendes Aufwachsen und erfolgreiches Lernen werden planvoll unterstützt.

 

Wie gestalten sich günstige Annäherungen in Startphasen? Man muss aushandeln, was Sozialarbeit bewirken soll. Streckenführend sind Zielorientierung, Selbstbewusstsein, Bescheidenheit und Kompromissgesinnung. Im Rahmen eines Stufenplanes sollten ABC-Priorisierungen erfolgen (nach den Dimensionen Dringlichkeit; Wichtigkeit; Lust; schnelle Effekte). Die Prozess- und die Etappengestaltung müssen transparent erfolgen. Balancen zwischen Vertrauensschutz gegenüber Schüler/innen und Eltern hier sowie kollegialer Information ohne Geheimniskrämerei, zwischen Anwalt für Schüler/innen und moderierender Allparteilichkeit sind nicht leicht zu finden, aber dieser Grundauftrag ist nicht suspendierbar. Neben je eigenen Aufgaben sollte es gemeinsame Arbeit an Schnittmengen-Themen geben (Eltern; Schulklima; Soziales Lernen …), damit sich die Professionen / Personen hautnah erleben. Für gemeinsame Auswertungen und Planungen braucht man Zeiten und Orte.

Zukünftig geht es um die Entwicklung einer sozial kompetenten und sozial verantwortlichen Schule mit klug gestalteten und planerisch abgesicherten „Interlinks“ – unter Beachtung der teilweise differenten Aufträge von Schule und Sozialer Arbeit (vgl. Flad / Bolay 2007, 79). Referenz sind die lernenden jungen Menschen – in ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft. Um als Fachkraft rollen- und handlungssicherer zu sein, sind empfehlenswert: Interessen-, Bedarfs-, Erwartungsrecherchen; bewusste Reduktion der Aufgabenvielfalt; permanente Kommunikation zur Rolle; Ziel-, Aufgaben- und Zeitplanungen, um in den widersprüchlichen Interessen und im Sog der Dringlichkeiten Handlungsfähigkeit und Prioritäten zu wahren.

 

 

Baier, Florian: Zu Gast in einem fremden Haus. Frankfurt/Main 2006

Bolay, Eberhard/Gutbrod, Heiner/Flad, Cornelia: Jugendsozialarbeit an Hauptschulen und im Berufsvorbereitenden Jahr in Baden-Württemberg. Tübingen/Stuttgart 2004

Bolay, Eberhard/Flad, Cornelia: Schulsozialarbeit aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern. In: Bitzan, M./Bolay, E../Thiersch,H.: Die Stimme der Adressaten, München 2006

Flad, Claudia/Bolay, Eberhard: Praxisentwicklungen in der Kooperation von Ganztagsschule und Jugendhilfe. In: Zeller, Maren (Hg.): Die sozialpädagogische Verantwortung der Schule. Baltmannsweiler 2007

LWV / Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern (Hrsg.): Schulsozialarbeit – eine Erfolgsbilanz. Stuttgart 2000

Neunert, Monika: Rollenkonflikte in der Schulsozialarbeit. Berlin 2009 (Unveröffentlichte Diplomarbeit)

Schmidtchen, Sybille: Integrierte Schulsozialarbeit als Subsystem von Schulentwicklung. Göttingen 2005

Speck, Karsten: Qualität und Evaluation in der Schulsozialarbeit. Wiesbaden 2006

Streblow, Claudia: Schulsozialarbeit und Lebenswelten Jugendlicher. Ein Beitrag zur dokumentarischen Evaluationsforschung. Opladen 2005